Bizets „Carmen“ erobert die Semperoper
„Die Liebe ist ein wilder Vogel“, singt „Carmen“ in der gleichnamigen Oper (1875) von Georges Bizet und meint damit wohl vor allem sich selbst. Wild und freiheitsliebend ist diese Carmen, die zwei Männer liebt, dabei aber auch ein Inbegriff des Weiblichen ist – verführerisch, leidenschaftlich, emotional, sexy und durchtrieben. Bizets Werk, das heute zu den am häufigsten aufgeführten Opern des internationalen Repertoires gehört und dessen Melodien jedem irgendwie bekannt sind, erobert nun in einer Inszenierung von Axel Köhler als Neuproduktion (Premiere am 28.9.) die Bühne der Dresdner Semperoper.
Köhler findet schlichte und dennoch wirkungsvolle Bilder – lässt oft einfach die herrlichen Melodien sprechen –, um die eigentlich tragische Geschichte der schönen Zigeunerin zu erzählen, die ihre unbeständige Leidenschaft am Ende mit dem Leben büßen muss. Arne Walther hat ihm dafür ein abstraktes Bühnenbild geschaffen, das in sich jedoch genauso facettenreich wie die Hauptfigur der Oper selbst ist. Ein großes fassartiges Gebilde erscheint in den drei Akten als Zigarettenfabrik, Schmugglerhochburg oder Stierkampfarena und enthüllt im Inneren einen roten Schlund der Verführungskunst, aus dem heraus Carmen schnell die Bühne (und Männer) erobert.
Umringt von einem Chor aus Arbeiterinnen in grauen Kitteln ist Carmen sogar im zeitlos getigerten Unterrock sofort der schillernde Stern. Anke Vondung (Foto: PR/Matthias Creutziger) gibt mit ihrem warmen, voluminösen Mezzosopran eine mondäne, selbstbewusste Carmen und drückt einer der berühmtesten Partien der Operngeschichte dabei ihren ganz persönlichen Stempel auf. Die Figur der deutlich sittsameren Mica?la ist als Gegenbild zur verruchten Zigeuner-Carmencita angelegt. In schlichten Jeans und Mantel (Kostüm: Henrike Bromber) ist sie brav, aber energisch um das Wohl von Don José besorgt. Die junge Sopranistin Emily Dorn, derzeit Mitglied im Jungen Ensemble der Semperoper, erntet in dieser Partie verdienten Jubel-Applaus und erscheint auch gesanglich als würdige „Anti-Carmen“.
Bei aller Sinnlichkeit und Erotik, die Köhlers vollständig entkitschte Inszenierung in abstrakter Kulisse zu bieten hat, typisch spanisch wird es hier erst am Schluss. Da formiert sich die anfängliche Armee moderner Soldaten zu einem bunten Einzug der Cuadrillas in die rote Arena, während Carmen am Rande ihre leidenschaftliche Liebschaft mit José für den smarten Escamillo (Kostas Smoriginas) beenden will. Arnold Rutkowski überzeugt als unglücklicher José hier noch einmal mit verzweifelter Leidenschaft, wenn er versucht, die schöne Zigeunerin erneut für sich zu gewinnen – und dabei doch alles verliert. Der Vorhang fällt. Etwas zu schnell schwillt der jubelnde Schlussapplaus in die Ruhe nach der letzten, tragischen Szene über.
Im Geist bleiben nachher die Bilder dieser klassisch dezenten, keinesfalls altbackenen und dabei gelungen eigenwilligen „Carmen“-Inszenierung, die eine Bereicherung fürs Semper-Repertoire sein dürfte, im Ohr, natürlich, die wunderbar zeitlosen Melodien (musikalische Leitung: Josep Cabellé-Domenech) Bizets. Bravo!
Bizets „Carmen“ an der Semperoper Dresden wieder am 5.10., 12.10., 26.10., 22.11., 25.11., 22.02., 01.03., 23.03., 29.03., 23.04., 25.04., immer 19 Uhr
Linktipp: www.semperoper.de