Undefinierbares Machtmonster

Der Drache am Staatsschauspiel Dresden
Eheglück sieht anders aus: Tom Quaas und Ines Marie Westernströer (Foto: PR/David Baltzer) .

„Der Drache“ am Schauspielhaus

Der „Drache“ ist Märchenmotiv, Monster und Mythos. In Jewgeni Schwarz’ Märchenerzählung (1943) symbolisiert er in erster Linie eine barbarische Willkürherrschaft, die brutale Opfer von den Menschen fordert, ihnen gleichzeitig aber eine perfide Sicherheit bietet. Dieser Drache hat viele Köpfe mit zahlreichen Gesichtern und erobert die Bühnen je nach zeitgeschichtlichem Hintergrund in unterschiedlichen Gewändern.

Regisseur Wolfgang Engel bringt „Der Drache“ anno 2013 (Premiere am 12.4.) nun auf die Bühne des Dresdner Schauspielhauses. Die Inszenierung ist neben „Der Turm“ (2010) und „Meister und Margarita“ (2012) die dritte seiner Stücke-Trilogie, die sich mit dem Leben des Menschen unter den Umständen der Diktatur aus­einandersetzt. Sie beginnt ganz unkonventionell als Musikperformance, bei der das Ensemble vor dem Bild eines chinesischen Drachen auf einer (vermutlich) deutschen Autobahn, umhangen von goldenen Girlanden (Bühne und Kostüm: Hendrik Scheel) steht und sich dem märchenhaften Stoff des Stückes zunächst rappend, singend, auch skalierend nähert. Eine Diktatur des Dirigenten sozusagen, oder des Ballettchoreografen.

Nach dieser musikalischen Einlage wird es jedoch erstaunlich ruhig auf der Bühne. Bis, ja bis der sagenumwitterte Drache zum ersten Mal in Schlips und Kragen erscheint. Dieser Auftritt ist so grandios hintersinnig, dass das Stück plötzlich wieder an Fahrt gewinnt. Tom Quaas säuselt hier als Drache in Nadelstreifen mit rauer Stimme über Aktien, Macht und den Krieg, um dann – wieder ganz Gentleman – mit seinem Zigarillo doch noch ein wenig Feuer zu speien. Den Drachen zeigt Quaas auch im weiteren Verlauf facettenreich und mit viel spielerischer Leidenschaft, egal ob im Anzug, als hässliches humpelndes Grauen oder leger arrogant im Hawaiihemd.

Sein Widersacher, der tapfere Held Lanzelot (Matthias Luckey) in Lederjacke und mit langen Haaren, bleibt dagegen eher eine blasse Figur. Mit lässigem Ehrgeiz hält er am Sieg gegen den Drachen fest, setzt sich mehr schlecht als recht gegen das Regime eines neurotischen Bürgermeisters (Holger Hübner) und seiner – als treudoofer Sprechchor voller Mitläufer inszenierten – Bürgerschaft durch. Er tut es aus Überzeugung. Unterstützer hat er nicht. Bis auf seinen treuen Freund, den wilden allgegenwärtigen Kater (Christian Clauß), der darstellerisch weit präsenter scheint als der Held selbst.

Beim Drachenkampf rumpelt und donnert es. Als das Ungeheuer dann von geschundenen, gebrochenen, verkauften Seelen philosophiert, meint man, noch einmal Untertöne herauslauschen zu können. Doch sie verhallen abrupt, als ein riesiger Drachenkopf aus dem Bühnenhimmel hinabrauscht, eingeholt vom Theatervorhang. Pause. Als der Drache besiegt ist, kehrt die Diktatur jedoch in Form des alten Bürgermeisters und seines Sohnes umgehend zurück. Das Märchen wird nun endgültig zur Groteske, wenn die Bürger wie Vögel im Chor „Piepiephurra, Piepiephurra!“, zwitschern. Holger Hübner gelingt dabei eine überzeugende Wandlung vom neurotischen Stadtoberhaupt zum selbstsüchtigen Herrscher, an dessen Beispiel die Mechanismen der Politik humorvoll gespiegelt werden. Da wird gelogen, manipuliert, verhindert und wenn es sein muss, zu lang gewartet, aber am Ende doch regiert – und alle machen mit.

Alle, außer Elsa. Ines Marie Westernströer gibt eine smarte, selbstbewusste, geradlinige Jungfrau. Einst sollte sie dem Drachen geopfert werden, doch gegen die bevorstehende Zwangsheirat mit dem neuen Machthaber wehrt sie sich mit Händen und Füßen. Bis Lancelot zurückkehrt und Elsa zur Frau nimmt. Nun feiert das Volk, allein Elsa scheint noch nicht erlöst. Der Vorhang fällt.

Danach blicken die Zuschauer auf einen darstellerisch brillanten, dramaturgisch aber wenig prägnanten Abend zurück. Trotz schöner Ideen im Detail (wie dem Bürgermeistersohn im Dompteurs-Gewand) fehlt es der Inszenierung insgesamt an Konsequenz. Es scheint, als könne sich Engel nicht so recht zwischen Märchenparabel, Groteske und modernem Theater entscheiden. Andeutungen bleiben vage, werden kaum ausgespielt. Der „Drache des entfesselten Marktes“, von dem im Programmheft die Rede ist und den Quaas noch so wunderbar einführt, gerät allzu bald aus dem Fokus. Die Flut an Diktatoren, Gurus und Wendehälsen, mit denen Engel seine Zuschauer statt dessen im Laufe des Stückes konfrontiert, erscheint eher wie eine willkürliche Versammlung von Machthabern, die hier ohne Zusammenhang regieren. Der Spannungsbogen stolpert so über durchaus gelungene Höhen, um sich später in wenig pointierten Längen zu verheddern. Dabei muss es das Publikum 2013 statt mit einem Drachen, gleich mit unzähligen aufnehmen – und sich sein Lieblingsmonster schließlich selbst herauspicken.

Jewgeni Schwarz „Der Drache“ am Großen Haus Dresden, wieder am 16.4., 25.4., je 19.30 Uhr, 5.5., um 19 Uhr und am 11.5., 19.5., 30.5.

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