Netter Perspektivwechsel

„Die Zuschauer“ am Staatsschauspiel Dresden

Sie gelten als das Erfolgsgespann am Staatsschauspiel Dresden schlechthin: Die Band „Woods of Birnam“ um Christian Friedel und Regisseur Roger Vontobel haben mit Shakespeares „Hamlet“ vor drei Jahren schon für Furore gesorgt. Zum Auftakt der neuen Spielzeit – es ist die letzte von Intendant Wilfried Schulz in Dresden – darf das bewährte Team nun erneut ran.

Weiterlesen

Theater einmal derb und deftig, bitte!

Friedrich Dürrenmatts „Panne“ am Kleinen Haus

Es duftet nach Bratensoße und frisch belegten Schnittchen. Die Tafel, an der vier alte, tattrige Herren sitzen, ist mit einem blütenweißen Tischtuch bedeckt. Gerade als das Zimmermädchen einen edlen französischen Wein einschenken will, passiert draußen eine „Panne“. So beginnt das gleichnamige Stück von Friedrich Dürrenmatt in der Inszenierung von Roger Vontobel am Kleinen Haus Dresden. Doch die vermeintliche Tischordnung trügt – schon bald wird sie sich in ein heilloses Chaos, eine Essensschlacht mit Prozesscharakter verwandeln.

Weiterlesen

Wohlstand auf Kosten der Menschlichkeit

Schöne neue Welt im Schauspielhaus Dresden
Huxleys gruselige Science-Fiktion-Welt ist uns erstaunlich nah.

Huxleys „Schöne neue Welt“ am Staatsschauspiel

Identität, Konformität, Stabilität. Das sind die Staatsmaxime, aus denen Aldous Huxley (1894–1964) in seinem Roman „Schöne neue Welt“ (1932) die Utopie einer perfekt funktionieren Gesellschaft baut. Eine Gesellschaft aus Retortenmenschen (Foto: PR/David Baltzer), in der ein jeder genetisch auf die ihm vorbestimmte Aufgabe im System konditioniert wird. Eine Welt des Konsums, in der Krankheiten ausgerottet, echte Liebe überflüssig und der Tod auf das 60. Lebensjahr festgelegt sind. Regisseur Roger Vontobel lässt diese Romanutopie in einer knackigen Theaterfassung von Robert Koall zum Saisonstart auf der Bühne des Schauspielhauses Dresden auferstehen.

Weiterlesen

Hamlet als Konzert

Shakespeare am Dresdner Schauspielhaus

Das hat das Dresdner Schauspielhaus wohl in 100 Jahren so noch nicht gesehen: Stehende Ovationen schon am Anfang der Premiere von Shakespeares „Hamlet“ (Foto: Matthias Horn) am 24. November. Doch gilt der Applaus (noch) nicht den Schauspielern, sondern ist vielmehr ein ironischer Geniestreich von Regisseur Roger Vontobel, bei dem das Publikum gleich zu Beginn der Inszenierung Teil eines großen Auftritts wird. Die Bühne ist hier ein Spiegel des feudalen Zuschauerraumes des Großen Hauses selbst (Claudia Rohner), in dessen mittelster Loge König Claudius (Torsten Ranft) und seine Gattin Gertrud (Hannelore Koch) Platz genommen haben. Kurz darauf tritt Christian Friedel als blass-leidender Hamlet auf und komplettiert somit seine eigene Band, die hier freilich nicht als „Woods Of Birnam“ musizieren, sondern für das Spiel im Spiel eher zu Nebendarstellern werden. Denn dieses Konzert gehört freilich – als rockiges Requiem für Hamlets just verschiedenen Vater – ebenso zum Stück.

Vontobels Hamlet in schlichter schwarzer Trauerkleidung, die wie seine Musik eindeutig aus dem 21. Jahrhundert stammt (Kostüm: Ellen Hofmann), ist ein selbstversunkener Künstler, ein sensibler Geist, der mit seinen Kompositionen verschmilzt, dem Leben aber nur die leidigsten Seiten abtrotzen kann. Rezitiert Friedel zunächst mehr die dem Shakespeare‘schen Text entlehnten Rocksongs, denn seinen Text aus der Schlegel‘schen Originalübersetzung, so nimmt man ihm diesen leidenden, egozentrisch auf der Bühne zappelnden Hamlet, doch irgendwie von der ersten Minute an ab. Gut möglich, dass dieser verrückte Egomane sich den Mord am eigenen Vater vielleicht nur eingebildet hat. Die Musik ist sein Geist und sie ist es denn auch, die den Zuschauer trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise an das Stück sofort in selbiges hineinzieht – ohne erst Raum für Zweifel zu lassen.

Tatsächlich nimmt die Hamlet-Handlung parallel in den oberen Rängen auf der Bühne dann langsam ihren Faden auf. Denn während Hamlet unten seinen musikalischen Tribut für den Vater rockt, thront in der Mittelloge König Claudius mit protziger Krone neben seiner Geetrud, die Hannelore Koch als schillernde, aber durchaus gütige First-Lady mimt. Rosenkranz (Jonas Friedrich Leonhardi) und Güldenstern (Benedikt Kauff) werden prompt von ihr ermahnt, ein freundschaftlich wachsames Auge auf den Hamlet zu haben. In der dritten Loge schmachtet indes die träumerische Schwärmerin Ophelia (Annika Schilling), obwohl ihr Bruder Laertes (Matthias Reichwald) sie eindringlich vor dem Musiker da unten warnt. Und Ahmad Mesgarha gibt einen grandios schwafelnden Polonius, bevor die neuerdings in allen Stücken unverzichtbare Videoprojektion kurz hinter das Bühnenbild entführt und Hamlet wenig später die klassische Mausefalle – in diesem Fall natürlich als provozierenden Popsong mit eigener Band konzipiert – anstimmt. Dieses Lied treibt, wie erwartet, einen nervösen Ausdruck in die Augen des Königs, wie Horatio (Sebastian Wendelin) im großprojiziertem Video festhält.

Inzwischen ist auch Friedel als Hamlet gänzlich in Fahrt gekommen. Er zetert, zürnt und explodiert, lamentiert sein berühmtes „Sein oder nicht sein“ – und beweist, dass er es doch kann, das mit dem Schauspielern in großen Rollen. Singen ja sowieso. Vor allem in der zweiten Hälfte des gut dreistündigen Abends kann er sich so richtig entfalten. Die Instrumente sind verschwunden. Fast droht die klassische Theaterszene ohne die Musik zunächst hinter dem actionreichen Beginn zu verblassen. Und doch fängt sich das Stück recht schnell von selbst, ganz allein mit klassischer Schauspielkunst, wie man dankbar feststellt – und dazu ohne auch nur ein bisschen von seiner Spannung einzubüßen. Die Kulisse ist zur Palast-Wohnung geworden, Friedel indes kommt nun als jugendlich-ungestümer Hamlet erst richtig zur Geltung.

Ebenso wie Annika Schilling als unglückliche Ophelia, die nun vom Wahnsinn getrieben in Hamlets schwarzem Trauerhemd, später auch ganz ohne, über die Bühne taumelt. Schilling beherrscht die Entwicklung von der liebesblinden hin zur enttäuschten und verlorenen Ophelia in allen Abstufungen und lässt dieses verwirrte Wesen am Ende, trotz kleiner Übertreibungen, doch berührend umherirren. Nur einmal droht das Ganze kurz ins unangenehm Ulkige abzukippen, als sie als lang befederte Totengräberin erscheint. Doch das bleibt bloß Momentsache.

In der Schlussszene kämpft Hamlet dann vor allem mit sich selbst – und Christian Friedel gibt trotz sichtbarer Erschöpfung noch einmal alles. Nun ist er Hamlet, Königin, König und Laertes zugleich, wechselt die Rollen wie die Positionen – und bleibt trotzdem der Verlierer. Wenn die Kulisse wieder nach vorn fährt, sitzen Claudius, Gertrud, Güldenstern, Rosenkranz und Laertes wieder wohlbehalten oben im heimischen Palastzimmer. Selbst sein guter Freund Horatio hört Hamlets Rufe nicht, bevor dieses Theater-Konzert ein für alle Mal zu Ende ist. Keine stehenden Ovationen, dafür verdient tosender Applaus, diesmal gilt er tatsächlich einem brillanten Ensemble. Sogar die Frage, ob es reicht, Hamlet als verzogen-wirren Sohn zu interpretieren, kann nach einem solch erfüllten Theaterabend getrost unbeantwortet bleiben.

„Hamlet“ am Dresdner Schauspielhaus, wieder am 26.11., 6.12., 12.12., 26.12. je 19.30 und 30.12., 19 Uhr

Weiterlesen

Wer Macht hat, hat auch recht

„Der zerbrochene Krug“ am Staatsschauspiel

Hoch waren die Erwartungen an Roger Vontobels zweite Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden, nachdem sein „Don Carlos“ sich zum gefeierten Dauerbrenner entwickelt hatte.  Dass er danach mit Kleists „Zerbrochenen Krug“ ein Lustspiel inszenieren würde, hatte wohl kaum einer erwartet.

Kleists Lustspiel behandelt einen Stoff, aus dem man auch eine Tragödie machen könnte. Denn die Geschichte des Dorfrichters Adam, der über ein Verbrechen zu Gericht sitzt, dass er selbst begangen hat, erscheint in ihrer Absurdität immer auch beklemmend. Denn Recht haben hier zunächst diejenigen, die Macht über andere haben.

Genau dieser Aspekt scheint Vontobel besonders fasziniert zu haben. Vielfältig sind die Bedrohungen, die Machtdemonstrationen und Machtgefällte, die sich während des Prozesses unter den Dorfbewohnern entfalten. Denn es geht hier nicht um einen profanen Krug, sondern um Gewalt und Machtmissbrauch, um sexuelle Nötigung und Erpressung.

Das erste Drittel der Inszenierung ist ganz im Kleistschen Sinne noch sehr slapstickartig gehalten. So werden die unterschiedlichen Versionen der Vorgänge, die zur Zerstörung des Krugs führten, nicht einfach erzählt, sondern szenisch nachgestellt. Das anfangs etwas altbacken wirkende Bühnenbild von Magda Willi entfaltet hier seine volle Wirkung, denn jeder Gegenstand, jedes Gestaltungselement des vollgestopften Raumes hat hier seinen Zweck. Rasante Szenen folgen aufeinander; ständig passiert etwas auf der Bühne; es wird gerannt, man stürzt, kämpft und rangelt miteinander.

Das Publikum lacht und applaudiert und bemerkt darüber kaum, den erzählerischen Sog, der die Geschehnisse zunehmend drastischer, düsterer und gefährlicher macht. Unversehens eskaliert die Gewalt, vor allem gegen den Angeklagten Ruprecht Tümpel, den Sebastian Wendelin als herrlich naiven Simpel anlegt.

Auch Burghart Klaußners Adam, der sich zunächst mit albernen Ablenkunsmanövern der Lächerlichkeit preisgibt, durch Charme, Schmeichelei und Betulichkeit seine Felle zu retten versucht, wird zunehmend polternder, reizbarer, ja gefährlicher.

Je näher man der Lösung des Rätsels kommt, desto mehr kann das Ensemble auftrumpfen. Als Zuschauer rückt man unwillkürlich auf dem Sitz nach vorn, wenn Sonja Beißwenger als gestrenge Gerichtsrätin im Businesskostüm sich langsam selbst im Gespinst der Lügen zu verirren droht, Marthe Rull (Hannelore Koch) ihre Tochter immer mehr unter Druck setzt und das Mädchen (gespielt von Karina Plachetka) schließlich zusammenbricht und nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Rache einfordert.

Die abschließenden Erklärungen gestalten sich dann doch etwas zu langwierig, nach all der Rasanz nimmt sich die genaue Erklärung der Abläufe, die den Krug zu Boden gehen ließen etwas zu statisch aus.

Insgesamt  ist Roger Vontobel nicht der ganz große zweite Wurf gelungen, doch sein „Zerbrochener Krug“ ist mitreißend inszeniert und gespielt, hervorragend besetzt und intellektuell anregend.

Annett Baumgarten

„Der zerbrochene Krug“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 18.3., 19.00 Uhr, 27.3., 19.30 Uhr, 9.4., 19.30 Uhr

Weiterlesen