„Ich hab‘ noch einen Koffer in …“

Ein Operettenspaziergang von Wien bis New York ermöglicht Musiktheater trotz Corona

Die Aufregung ist nicht nur beim Ensemble der Staatsoperette Dresden, sondern auch beim Publikum spürbar. Nach drei Monaten Spielpause geht es mit dem Programm „Ich hab‘ noch einen Koffer in … Ein Operettenspaziergang von Wien bis New York“ (Foto: Stephan Floß) wieder los. An fünf Stationen auf dem Kraftwerksgelände präsentiert das Theater den derzeitigen Beschränkungen entsprechend ein sommerlich leichtes Operettenvergnügen, das – als humorvolle Reise inszeniert – das Publikum zum Spaziergang quer durch die Welt des Genres einlädt.

Das Foyer wird zur Wartehalle, die Zuschauer sind die Touristen: An fünf Haltepunkten sammeln sich je 25 Mann als „Reisegruppen“ mit den Zielen Berlin, Wien, Paris, New York und Dresden zusammen, um sich von Guides auf dem Rundgang durch den Abend leiten zu lassen. Der entpuppt sich als buntes Allerlei in jeweils kleinen Besetzungen, eine Art „Wandelrevue“, die unter der künstlerischen Leitung von Cornelia Poppe verschiedene Facetten der Operette als Kosthappen zeigt. Der Appetit ist nach der Zwangspause naturgemäß groß, die Möglichkeit, das Kraftwerk auf diese Weise von einer ganz neuen Seite kennenzulernen, umso reizvoller. Vorsicht und Abstand bleiben dennoch das Gebot des Abends. Erst, wenn alle Platz genommen haben, dürfen die Masken fallen. Man nimmt es – wie so vieles in diesen Zeiten – mit Humor und freut sich, endlich wieder Livetheater genießen zu dürfen.

Fantasievoll geht es also durch fünf Metropolen, die mal mehr, mal weniger zum Verweilen einladen. Der Platz vorm Restaurant „Neue Sachlichkeit“ wird zum lebendigen Berliner Hinterhof. Hier liefern sich Elmar Andree und Andreas Sauerzapf von einer dreiköpfigen Band begleitet ein schwungvolles Stelldichein mit drei Chordamen. „Das ist die Berliner Luft“, klingt es durch den Hof, bevor die Reise schon weiter geht, nach Wien. Auf der Hinterbühne schwelgt das Kammerorchester der Staatsoperette mit Steffi Lehmann und Christian Grygas im Walzertakt. Unterm Kronleuchter kreuzt verträumt ein Schwan, dazu erklingen bekannte Operettenschlager wie Lehárs „Einer wird kommen“ oder Bruno Granichstaedtens Zigarettenlied.

Die Direktverbindung nach Paris führt von der Bühne ins Kranfoyer, das als lauschige Lounge Pariser Charme verströmt. Laila Salome Fischer und Nikolaus Nitzsche beschwören mit Hits wie „Ganz Paris träumt von der Liebe“ oder einem „Pariser Tango“ eine flirrende Atmosphäre herauf. Neben Natalia Petrowski am Klavier sorgt vor allem Alexander Bersutsky an der Geige für betörende Momente, dazu gibt es ein Glas Sekt als Willkommensgetränk. Schon geht die Reise weiter ins lebhafte New York. Hinter den Theatergebäuden auf dem Kraftwerksgelände rauschen Züge und heulen Sirenen von der Innenstadt her. Doch auf der Bühne unter freiem Himmel zieht das Ballett der Operette (Choreografie: Radek Stopka) schnell die Aufmerksamkeit auf sich. Jolana Slaviková und Gero Wendorff bescheren dabei mit Gassenhauern aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ einen mitreißenden Ausflug zum Broadway.

Zurück in Dresden wird die Laderampe der Staatsoperette zur Bühne für einen musikalischen Rückblick in die Operettenliteratur aus der DDR. Das mag im Vergleich zur bunten Musicalwelt New Yorks als greller Kontrast erscheinen, wird von Silke Richter und Marcus Günzel, begleitet von Eve-Riina Rannik am Klavier und Michael Hauser an Bass/Gitarre, aber unterhaltsam abgefangen. Am Ende lässt sich sicher streiten, ob’s mehr braucht von DDR-Seligkeit, New Yorker Leben, Wiener Schmäh, mehr Pariser Charme oder Berliner Schnauze. An welcher der Stationen es am schönsten war, mag jeder ganz für sich entscheiden. Eines aber eint an diesem Abend zweifelslos alle: Das Glück, endlich wieder Teil dieser aufregenden Musiktheaterwelt sein zu können.

Info: „Ich hab‘ noch einen Koffer in … Ein Operettenspaziergang von Wien bis New York“, wieder am 23., 24., 25. Juni und ab 2. Juli, 19.30 Uhr

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