Furiose Jagd nach schlummernden Sehnsüchten

„Der Raub der Sabinerinnen“ am Staatsschauspiel Dresden

Auch wenn man es im schnelllebigen Computerzeitalter vielleicht nicht glauben mag: Theater kann doch eine Menge. Die Welt der Illusion, der Verkleidung, des bunten Spiels lässt Sehnsüchte blühen und Träume wenigstens für ein paar Stunden wahr werden. Insofern taugt der Schwank „Der Raub der Sabinerinnen“ (Fotos: PR/David Baltzer) der Brüder Frank und Paul von Schönthan aus dem Jahr 1884 auch bis heute ohne Probleme für einen rundum unterhaltsamen Theaterabend. Susanne Lietzow bringt das Publikum am Großen Haus des Staatsschauspiels Dresden mit ihrer Inszenierung des Stückes nach langer Zeit sogar mal wieder richtig zum Lachen – und beschert am Schluss ein furioses Theaterchaos mit Happy End.

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Siegeszug aus der Vergessenheit

Kästners „Klaus im Schrank“ am Staatsschauspiel

Das Dresdner Schauspielhaus ist bis auf den letzten Platz ausverkauft, als sich am zweiten Advent der Vorhang zu Erich Kästners lang verschollen geglaubten Theaterstück „Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest“ hebt. Vor gut einem Monat feierte das Werk aus dem Jahre 1927 seine Uraufführung. Zuvor nämlich hatte dieser „Klaus“ gut ein halbes Jahrhundert lang sprichwörtlich im Schrank geschlummert, bevor das Manuskript im Nachlass von Kästners Mitarbeiterin Elfriede Mechnig wieder auftauchte.

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Zeitlose Parallelgesellschaften

Hauptmanns „Ratten“ am Staatsschauspiel

Eine abgeranzte Hauskulisse aus schimmelig nassen, abblätternden Wänden mit hohen, lichten Türen bildet den optischen Hintergrund für Gerhart Hauptmanns Paradestück „Die Ratten“, das am 10. Mai im Großen Haus des Staatsschauspiels Dresden Premiere feiert. Viereinhalb Monate nach Ausklang des Hauptmannsjahrs 2012 setzt das Theater dem Autor mit dieser Inszenierung von Susanne Lietzow ein spätes, aber dafür umso gelungeneres Denkmal im Nachhall seines 150. Geburtstags.

Sowohl das Bühnenbild (Aurel Lenfert) als auch das dialektgeschwängerte Spiel von Rosa Enskat (als Frau John) und Marie Smolka (als Pauline Piperkarcka) ziehen den Zuschauer von der ersten Minute an in den Bann. Mitten im Kostümfundus des Ex-Theaterdirektors Hassenreuter handeln die beiden Frauen zunächst jene verhängnisvolle Absprache aus, um die sich später das eigentliche, durch zwei Parallelgesellschaften diffundierende Hauptmann-Drama entspinnt: Rosa Enskat zeigt die biedere, stets hilfsbereite Frau John, eine einfache Person in Strickjacke und schlichtem Schlabberrock (Kostüm: Marie Luise Lichtenthal), als handfeste, keinesfalls unsympathische Figur. Selbst kinderlos kauft sie der verzweifelten jungen Pauline ihr Neugeborenes ab und gibt es später vor ihrem Mann John (Thomas Eisen) als ihr eigenes aus.

Und dann ist da noch die gut gekleidete bürgerliche Bildungsgesellschaft, die um Ex-Theaterdirektor Hassenreuter (Albrecht Goette) fern ab und doch so nah dieser sozialen Unterschicht schwülstige Theaterproben durchführt, mit dem Ziel, irgendwann ruhmreich auf den Bühnen der Welt glänzen zu können. Thomas Braungardt überzeugt hier besonders als verstockter Samtanzugträger und angehender Schauspielstudent Erich. Auf dem Dachboden zettelt er ernsthafte Theaterdiskussionen mit Hassenreuter an, wenn er nicht gerade dessen wohlbehüteter Tochter Walburga unters brave weiße Seidenröckchen kriecht. Annika Schilling zeigt eine herrlich doppelbödige Bürgerstochter, die es in punkto Liebe mit Erich hinter dem Rücken der väterlichen Obhut kräftig krachen lässt.

Sie alle bekommen von den röchelnden, problembeladenen Gestalten, die in abgewetzten Räumen hausen, jedoch nichts mit – weil sie so sehr mit sich beschäftigt sind, dass sie gar nicht hin-, und wenn dann lieber gleich wieder wegschauen. Sie merken nicht, wie Pauline auf einmal bunt gestylt zurückkehrt und ihr Kind von Frau John zurückfordert. Sie merken nicht, wie diese ihren zwielichtigen Bruder Bruno (Jonas Friedrich Leonhardi) auf die junge Frau hetzt, ein weiteres Kind raubt, um das vermeintlich „ihre“ behalten zu können. Allein die junge Selma, selbst eine arme junge Gestalt, die am Rande der Gesellschaft vor sich hinvegetiert, zeigt sich am Ende als aufmerksame Beobachterin. Lea Ruckpaul scheint diese Rolle der schnottrig-pfiffigen Nachbarin wie auf den Leib geschrieben. Sie scheint das menschliche Spiegelbild der schäbigen Wände zu sein, jung und naiv, aber ehrlich und dennoch in ihrer Umgebung verhaftet, wie all die anderen armen Teufel.

So bringt Lietzows zeitlose Inszenierung auch 2013 gelungen auf den Punkt, was Hauptmann 1911 mit seinen „Ratten“ anprangern wollte. Die ursprüngliche Natürlichkeit der einfachen Leute steht der gestelzten Künstlichkeit der Bürger gegenüber. Das ist dank vielen gut inszenierten Details bisweilen so urkomisch, dass es fast wehtut. Im Umkehrschluss wirken ernsthafte Theaterproben tatsächlich wie ein ulkiger Witz, während im Untergrund existenzielle Probleme wabern und einfache Eheleute mit Kinderwagen, vom Leben ohnehin gezeichnet, das Glück vergeblich festzuhalten suchen.

Da verbeugen sich zwei ehrgeizige Schauspielschüler wie Marionetten unter den Anweisungen Hassenreuters, bevor ein Wehschrei das Leiden einer Mutter artikuliert. Komik und Tragik wechseln ständig. Die Bühne spielt dabei gekonnt mit Licht und Schatten. Wirklich berührend wird es, wenn Pauline anfängt, ihr Schmerzenslied zu singen (Musik: Gilbert Handler) – die Musik, sparsam eingesetzt, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche dramatische Tiefe. Und dann ist da noch das plötzlich, kurz auftauchende Video-Karussell, es dreht und dreht und dreht sich, gerade an der Stelle, als der Kampf ums neue Leben seinen Höhepunkt erreicht …

Gerhart Hauptmann „Die Ratten“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 13.5., 4.6., 13.6., 21.6., 3.7., jeweils 19.30 Uhr

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