Fernsehturm ohne Geheimgesellschaft

Tellkamp-Buch: Vom Roman zum ARD-Zweiteiler

Mit furioser Eigenwerbung der öffentlich-rechtlichen Sender angekündigt, flimmerte der lang erwartete Zweiteiler zu Uwe Tellkamps Dresden-Roman „Der Turm“ (2008) am Tag der Einheit und dem Nacheinheitstag über die deutschen Bildschirme. Die Einschaltquoten von rund 7,5 Millionen (Marktanteil 21 Prozent) für den ersten und 6,3 Millionen (Marktanteil 19,7 Prozent) für den zweiten Teil rechtfertigen wohl auch für den Film die Bezeichnung als Bestseller.

Wie im Roman führt Regisseur Christian Schwochow die Zuschauer dabei zunächst per Standseilbahnfahrt hinauf in jenes Dresdner Viertel, das Tellkamp in seinem Roman zum gutbürgerlich abgegrenzten „Turm“ (Foto: N. Czerwinka) stilisiert. Mit flotten Schnitten haben die Filmemacher die Handlung des Wälzers auf zwei abendfüllende Filmeteile zusammengerafft, ohne die Vorlage dabei zu verhunzen. Die Abweichungen von der Romanhandlung sind nur gering und die paar eingefügten Szenen wirken eher erklärend, als störend. So wähnt sich Deutschlands Fernsehpublikum nach den gut 180 Filmminuten wohl glücklich, dass es sich die Lektüre der fast 1000 sprachlich teils zäh mäandernden Buchseiten über den DDR-Alltag in Dresdens Nobelviertel dank gesamtdeutschem Bildungsfernsehen nun ersparen konnte. Der Film erfüllt damit genau jene Hoffnung, die vor fast genau zwei Jahren bereits die gleichnamige Theaterinszenierung am Staatsschauspiel Dresden weckte – die mittels Schauspiel jedoch Lektüre nicht gänzlich ersetzen konnte, was Dresden und seine Gäste wiederum enttäuschte.

Der Handlungsort Dresden und sein Hirsch-Viertel aber – und das ist der eben große Unterschied zum Buch – spielen im Film allenfalls eine periphere Rolle. Die besagte Standseilbahnfahrt, ein Spaziergang auf den Straßen, eine Villa. Das ist neben den immer wieder eingeblendeten Panoramabildern auch schon alles, was von der Stadt im Film gezeigt wird. Im Gegensatz zum eigentlichen „Turm“ bekommt hier vielmehr das bei Tellkamp gegenüber angelegte (fiktive) „Bonzenviertel“ Ostrom mit roten Fahnen und Peter Sodann (als Barsano) ein Film-Gesicht. So rückt der sozialistische Staatsapparat vor einer Art türmerischer Geheimgesellschaft auf dem Bildschirm über weite Strecken in den Vordergrund.

Denn anders als im Roman steigen die Figuren in Thomas Kirchners Drehbuch von Anfang an von diesem Turm hinunter. Zwar sind die Hoffmanns, Rohdes und Tietzes (der Film wirft für Buchunkundige blitzschnell mit unzähligen Namen um sich) ebenfalls Intellektuelle und Ärzte, jedoch hat der Nischencharakter von Tellkamps „Turmgesellschaft“ (die es übrigens auch schon bei Goethe gab) auf dem Hirsch über den Dächern von Dresden im Film-„Turm“ kaum noch Bedeutung. Im Gegenteil: Die im Buch so bildhaft beschriebene Hermetik des Stadtviertels wird bei Schwachow zugunsten der Handlung und präziser Charakterdarstellungen (zumindest der Hauptpersonen) zurückgedrängt. Auch die Tellkamp‘sche Walpurgisnacht, in der sich Turmgesellschaft und Oströmer am Ende des Romans rauschhaft begegnen, wird eliminiert. Die bröckelige Umgebung der mit Antiquitäten und Kunst vollgestopften Villenstuben ist damit nur mehr Kulisse für das nackte Handlungsgerüst. Und dass dieses auf den heimischen Bildschirmen auch ohne den literarischen Schnickschnack drum herum funktioniert, ist wohl vor allem der Verdienst der grandiosen Darsteller sowie eines ausgefeilten Gestaltungskonzeptes, das immerhin Raum für kleine Anspielungen auf einige der literarischen Leitmotive der Romanvorlage (etwa Umweltverschmutzung und Naturbilder) lässt. Was man freilich nur dann erkennt, wenn man sie denn gelesen hat.

Das ist für Dresden und die (Primetime ARD-) Fernsehzuschauer, auch für Buchleser und offenbar sogar für den Autor selbst zu verschmerzen. Denn letztlich wirft der Film ja nur eine andere Perspektive auf das Buch, eine Perspektive, die der Roman aber durchaus in sich selbst widerspiegelt – obwohl man sich bei manch schnellem Szenenwechsel doch fragt, ob Nicht-Roman-Kenner alle Handlungsstränge noch nachvollziehen können. Was allein an dieser Perspektive stört, ist nicht dem Film und schon gar nicht dem detailreichen Roman geschuldet. Es ist allein der Anspruch, der in allen Ankündigungsinterviews und Filmvorschauen – sie sind bis heute in einer umfassenden Mediathek im Internet nachzulesen – an diesen Stoff gestellt wird. Zwischen den Zeilen nämlich erweckt dieses öffentlich-rechtliche Bonusmaterial einmal mehr den Eindruck, Tellkamps buchpreisgekröntes Werk solle nun, 22 Jahre nach der Wende, einem Massenpublikum via Filmabend vor der Flimmerkiste dazu verhelfen, die DDR und ihren Alltag posthum zu verstehen, ohne ihn dabei zu gleich wieder zu verklären. Dafür gab es auch schon andere, hochgelobte Beispiele. Erfüllt wurde diese Erwartung aber dennoch nie. Wer den „Turm“ allerdings ohne die Sehnsucht nach derlei historischen Erklärungen sieht, wird in ihm nicht nur eine geglückte Romanzusammenfassung, sondern auch einen packenden Film, eben eine „Geschichte aus einem längst versunkenen Land“ entdecken.

Nicole Czerwinka

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