Verteufelt amüsant

Der Teufel mit den Titten St. Pauli Ruine Dresden
Teuflische Komödie in der St. Pauli Ruine …

St. Pauli Ruine spielt „Der Teufel mit den Titten“

Kaum etwas ist so lästig, so hinderlich und so unglaublich trist wie die Tugend. Dies dachte sich auch der Oberteufel Francipante beim ehrenhaften Richter Alfonso de Tristano – die sprichwörtliche Inkarnation von Nomen est Omen – und beschließt ihn zu verderben. Der Richter, welcher sich als einzig standhafte Kraft in seiner Stadt gegen korrupte Politiker, bestechliche Inquisitoren und dubiose Machenschaften der Mächtigen zu wehren versucht, soll mit einem teuflischen Zäpfchen – denn das ist die beste Öffnung, die es gibt: der Arsch – vom rechten Weg abgebracht werden.

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Molière als Sommertheater-Rezept

ARZT WIDER WILLEN

„Der Arzt wider Willen“ an der St. Pauli Ruine

„Ich bin der Mann im Haus, was ich sage, ist Befehl“, deklamiert Sganarelle, ein uncharmanter Trunkenbold und Spieler, bevor er seiner Frau Martine eine heftige Tracht Prügel versetzt. Doch die weiß sich zu rächen, indem sie ihren Gatten wenig später als Wunderheiler hinstellt, man müsse es nur gehörig aus ihm herausprügeln – und das Schauspiel nimmt seinen Lauf.

Mit dem „Arzt wider Willen“ holt Regisseur Jörg Berger eines der meistgespielten Stücke Molières auf die Sommerbühne in der St. Pauli Ruine. Christoph Wagner schlüpft hier in die Hauptrolle mit Clownsgesicht (Foto: PR) und gibt einen gerissen-lebensfrohen Trunkenbold Sganarelle, dem der Schalk ob seiner Verwechselung mit einem echten Doktor sprichwörtlich aus den Augen lacht. Mit der Rolle des Doktors freundet er sich nicht zuletzt der guten Bezahlung wegen sehr bald an und doktert fortan – mehr unwissend, denn verantwortungsbewusst – fröhlich an seinen Patienten herum.

Dass die stumme Lucinde dabei tatsächlich ihre Sprache wiederfindet, ist eher einer gütigen Fügung, denn seinem Können zu verdanken, hält jedoch die ganze bunte Gesellschaft – Lucindes Vater Geronte, Amme Jaqueline, die Bediensteten Valere und Lucas sowie Lucindes Verlobten Leandre – gehörig auf Trab. Ingrid Schütze überzeugt in diesem eingespielten Ensemble gleichfalls als energische, gepeinigte Ehefrau Martine und stumme jugendliche Lucinde ganz in Lila, während Veit Schumann und Frank Bendas als Valere und Lucas zwei herrlich ulkige, unbeholfene Helfer mimen. Olaf Nilsson gibt gekonnt den streng besorgten Vater Geronte in oranger Kluft mit Hut und geflochtenem Bärtchen, stets umgarnt von der leicht naiv scheinenden Amme Jaqueline (Ilka Knigge).

So kullern die Witze dieser Komödie wohl dosiert, und immer wieder untermalt vom Gitarrenspiel Eric Törsels (der gleichzeitig Lucindes Geliebten Leandre spielt), quer durch den Ruinenraum. Der wird, wie bei den sommerlichen Theaterproduktionen hier üblich, komplett ausgenutzt und auch das Publikum bleibt in einigen Szenen nicht verschont. Dabei dienen bemalte Pappkartons als einfach-funktionales, gleichzeitig aber wandelbares Bühnenbild (Ausstattung: Anja Martin). Vor allem in zweiten Halbzeit, wenn sich die Nacht über der Ruine niedersenkt, entsteht eine angenehme Theateratmosphäre.

Aus dem ehelichen Denkzettel wird so ein wunderbar unterhaltsamer Abend, an dem anfangs einige Witze zwar ein bisschen zu beliebig geraten, aber immer noch genug hintersinnige Stellen zum Schmunzeln anregen. Grandios gezeichnet sind durchweg die Charaktere der Haupt- und Nebenfiguren, wofür dem Ensemble ein großes Lob gebührt. Vor allem Frank Bendas bleibt hier in dreifacher Rolle sächselnd komisch in Erinnerung. Diagnose: Sehenswert!

Nicole Czerwinka

St. Pauli Ruine Molieres „Der Arzt wider Willen“, wieder am 30.7., 31.7., 1.8., 7.8. und 8.8., je 19.30 Uhr; 9.8., 10.8., 20 Uhr; 11.9., 12.9., 18.9. und 19.9., je 19.30 Uhr

Linktipp: www.theaterruine.de

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Von Helden und Waschlappen

Peter Hacks „Helena“ an der St. Pauli Ruine

Auch Götter können irren. Und sie tun es ständig. So oder so ähnlich könnte man Peter Hacks fröhlich-satirisches Schauspiel mit Musik um die schöne „Helena“ (1964), nach einer Operette von Jacques Offenbach, wohl interpretieren. An der St. Pauli Ruine feierte dieses schwer ironische Stück am Freitag (31.5.) in einer Inszenierung von Jörg Berger Premiere. Hier gipfelt der allzu heutig erscheinende Götterkampf um Popularität zwar nicht im Trojanischen Krieg, dafür jedoch in einem unterhaltsamen Theaterabend, der in Hacks’scher Manier die Schwächen der allzu menschlichen Herrscher (Foto: PR) vorführt.

Helena, die schönste Frau auf dem Olymp, wird dabei gleichsam selbst Mittel zum Zweck. Denn eigentlich ist es die listige Kupplerin Venus, welche die Ehe der Schönen per verhängnisvolles Versprechen in den Hades befördert. Britta Andreas spielt diese listige Liebesgöttin, die es weder Minerva (Simone Foltran) noch Juno (Katrin Soddu) gönnt, vom trojanischen Prinzen Paris (Jonas Finger) als die Schönste aller Göttinnen gekrönt zu werden. So verspricht sie dem Prinzen die Liebe der Helena, um den goldenen Apfel des Paris schließlich selbst zu erhalten.

Der anfangs als blökender Zickenkrieg inszenierte Frauenstreit – sinnfällig werden die Schafe hier von Hund Merkur alias Detlef Epperlein zusammengescheucht – mündet schließlich im Konkurrenzkampf zwischen Jupiter (Karl Weber) und Venus. Resigniert stellt Priester Kalchas (Rainer Leschhorn) fest, dass Venus längst populärer als Jupiter ist. Helena indes ist inzwischen dem schönen jungen Paris verfallen und in ein gesellschaftliches Verhängnis verstrickt. Felicitas Mallinckrodt sticht dabei als eine allzu menschliche Helena hervor, die aufgeregt von der Empore herab ihr Schicksal betrachtet und hyperventilierend die Ankunft des angebeteten Paris kundtut.

„Dem Herzen folgen, gilt als Sünde“, deklamiert sie – tut es aber doch. Zusammen mit Paris zieht sie am Ende die Leidenschaft der gesellschaftlichen Anerkennung vor und flüchtet ins Nirgendwo, um die Herrscherriege, die eben noch beschaulich beim Angeln saß, einfach mal stehen zu lassen. Auch Helenas gehörnter Gatte Menelaos – von Lutz Koch wunderbar machtlos-treudoof dargestellt – bleibt mit dem Rest der ulkigen Götterbande zurück. Sogar das als große Show inszenierte Orakel führt sich mit diesem Ausgang der Geschichte letztlich selbst ad absurdum.

Das göttliche Herrschaftsgetue dieser in Bettwäschegewänder (Bühnen- und Kostümbild: André Thiemig) gepackten Bande wird hier nicht nur dank Ehebruch, sondern auch in seiner Erscheinung per se parodiert und herzhaft komisch in seiner ganzen Fragwürdigkeit enttarnt. Nicht nur Ajax I und II (Detlef Epperlein und Jens Döring) und der mächtige Held Achilles (Hans-Martin Thiel) erscheinen dabei als humorige Waschlappen, auch ihr Dichter Homer tritt als blinder Schreiber, den niemand mehr ernst nimmt, auf die Bühne und hat selbst am Mikro bald nichts mehr zu sagen.

Am Ende gibt es in dieser hintersinnigen Inszenierung weder Sieger noch Verlierer. Eine Moral aus der Geschicht’ – so sie überhaupt existiert – mag sich jeder Zuschauer für sich selbst herausfiltern. Dass es dem bunten Treiben in der Ruine dabei manchmal ein wenig an Stringenz fehlt und im wilden Göttergewusel auch schnell mal der Faden verloren geht, machen die vielen guten Einfälle – vom göttlichen Donnergrollen bis zur blökenden Schafsherde –  bis dahin wieder doppelt wett.

Nicole Czerwinka

Peter Hacks: „Helena“ an der St. Pauli Ruine, wieder am 4.6., 5.6. 19.30 Uhr, 7.6. und 29.6. 20 Uhr sowie am 9.7., 10.7., 23.7., 24.7., 25.7. 19.30 Uhr, am 13.-15.8., 27./28.9., 4./5.10.

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Doppelte Ironie in der Ruine

„Purcells Traum von König Artus“ in der St. Pauli Ruine

König Artus steht auf dem Abstellgleis. Noch während er innbrünstig seine Arien schmettert – liebevoll bewundert von der blinden Emmeline –, fegt eine Horde geldgieriger Investoren durch das alte Opernhaus. In Tankred Dorsts bissiger Satire „Purchells Traum von König Artus“, die just am Freitag (27. Juli) in der St. Pauli Ruine Premiere feierte (Foto: PR), wollen sie die Opernruine zu einem profitträchtigen Kaufhaus umgestalten. Mit Bauhelmen auf den glatt frisierten Köpfen rücken sie an, entfalten Baupläne und beratschlagen vor folienverhängten Wänden (Bühne & Kostüm: André Thiemig), was aus dem Gemäuer am besten zu machen wäre. Schon vor dem eigentlichen Beginn des Stückes stolzieren sie wild diskutierend durch die Publikumsreihen – und lassen die Zuschauer so quasi selbstironisch an der Präsenz des Stoffes teilhaben. In den folgenden gut zwei Aufführungsstunden liefern sie sich mit einigen merkwürdigen Gestalten, die sich in dem alten Gemäuer treffen sowie mit Figuren aus Henry Purchells „King Arthur“ einen ironischen Kampf von Künstleridealismus und Kommerzgier. In diesem ist es einzig die blinde Emmeline, gekonnt gespielt von Ingrid Schütze, die das wahre Gute im Menschen zu erkennen vermag – jedenfalls solange sie blind ist.

Basierend auf Purchells (1659-1695) Semi-Opera „King Arthur“ (1691) – in der sich der britische König Artus mit den Sachsen einen erbitterten Kampf um die blinde Prinzessin Emmeline liefert –, versuchen König Artus, dessen Ritter, Merlin und eine Horde merkwürdiger Alltags-Enthusiasten in Tankred Dorsts hintersinnigem Stück, die Opernruine gegen die Profithungrigen zu verteidigen. Der deutsche Dramatiker Dorst (geboren 1925 in Thüringen) ist bekannt für seine zeitkritisch-ironischen Theatersatiren und beschäftigte sich mit dem Artus-Stoff als Utopie einer besseren Welt bereits 1981 in seinem Werk „Merlin oder Das wüste Land“. Im Jahr 2004 wurde sein Stück „Purchells Traum von König Artus“ in Wiesbaden uraufgeführt.

Anstelle von Purchells kriegerischen Angelsachsen setzt Dorst die Investoren als feindliche Eindringlinge in den idealistischen Kulturbetrieb, indem Artus so etwas wie die Leitfigur einnimmt. Mit Umhang und Krone markiert er die von den alten edlen Ritter-Idealen beseelte Welt der Kunst und Fantasie, in der kein Platz für die Berechnung der Moderne ist. Frank Weiland gestaltet die Artus-Figur so gutherzig wie naiv und verleiht ihm so wahrhaft märchenhafte Züge, die dem verbissen-kühlen Konsumwillen des Geschäftsführers Collani (Björn Schröder) nicht nur optisch gegenüberstehen. So trifft der ahnungslose Edelmut des Königs in ironischer Weise gleichsam als „schöner Gedanke der Menschheit“ auf die Gier der Investorengruppe.

Als es in der St. Pauli Ruine dämmert, scheint der Sieg der Investoren jedoch zunächst besiegelt, ihre kühle Profitgier hat die Szene in Anlehnung an Purchells berühmte „Frost-Szene“ eine düstere Eislandschaft verwandelt. Doch „die Liebenden kommen immer zusammen am Ende“, sagt Artus und gewinnt den Kampf um Emmeline und gegen die Investoren, wenn auch knapp.

Das alte Opernhaus bei Dorst wird in der St. Pauli Ruine dabei zum sprichwörtlich bedrohten Theater. Schließlich stand auch die Existenz der seit 13 Jahren von einem gemeinnützigen Verein von Theaterenthusiasten bespielten Kirchruine im Herzen des Dresdner Hechtviertels schon mehrfach zur Disposition. Dank Ausbau und Neueröffnung im Frühjahr 2012 konnte das Ensemble dem eigentlich mit der Abrissbirne endenden Dorst-Stück nun ein versöhnliches Ende setzen. Ob dies auch im Sinne des zeitkritischen Dramatikers Dorst steht, ist fraglich. Abgesehen davon gerät die Pauli-Inszenierung von Regisseur Jörg Berger vor atmosphärischer Kulisse und immer wieder spannungsvoll ergänzt durch Gesänge und die Musik von Henry Purcell und dem amerikanischen Filmkomponisten Basil Poledouris (musikalische Leitung: Yvonne Dominik), jedoch zu einem kunterbunten, ideenreichen, mit schelmischem Witz gespickten Theaterabend, der allein von der teils schlechten Akustik bei den Sprechrollen getrübt wird.

Nicole Czerwinka

„Purcells Traum von König Artus“ in der St. Pauli Ruine Dresden, wieder am 30. und 31.7.; 7./8./9./10. und 11.8. … jeweils um 19.30 Uhr

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