Siegeszug aus der Vergessenheit

Kästners „Klaus im Schrank“ am Staatsschauspiel

Das Dresdner Schauspielhaus ist bis auf den letzten Platz ausverkauft, als sich am zweiten Advent der Vorhang zu Erich Kästners lang verschollen geglaubten Theaterstück „Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest“ hebt. Vor gut einem Monat feierte das Werk aus dem Jahre 1927 seine Uraufführung. Zuvor nämlich hatte dieser „Klaus“ gut ein halbes Jahrhundert lang sprichwörtlich im Schrank geschlummert, bevor das Manuskript im Nachlass von Kästners Mitarbeiterin Elfriede Mechnig wieder auftauchte.

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Zeitlose Parallelgesellschaften

Hauptmanns „Ratten“ am Staatsschauspiel

Eine abgeranzte Hauskulisse aus schimmelig nassen, abblätternden Wänden mit hohen, lichten Türen bildet den optischen Hintergrund für Gerhart Hauptmanns Paradestück „Die Ratten“, das am 10. Mai im Großen Haus des Staatsschauspiels Dresden Premiere feiert. Viereinhalb Monate nach Ausklang des Hauptmannsjahrs 2012 setzt das Theater dem Autor mit dieser Inszenierung von Susanne Lietzow ein spätes, aber dafür umso gelungeneres Denkmal im Nachhall seines 150. Geburtstags.

Sowohl das Bühnenbild (Aurel Lenfert) als auch das dialektgeschwängerte Spiel von Rosa Enskat (als Frau John) und Marie Smolka (als Pauline Piperkarcka) ziehen den Zuschauer von der ersten Minute an in den Bann. Mitten im Kostümfundus des Ex-Theaterdirektors Hassenreuter handeln die beiden Frauen zunächst jene verhängnisvolle Absprache aus, um die sich später das eigentliche, durch zwei Parallelgesellschaften diffundierende Hauptmann-Drama entspinnt: Rosa Enskat zeigt die biedere, stets hilfsbereite Frau John, eine einfache Person in Strickjacke und schlichtem Schlabberrock (Kostüm: Marie Luise Lichtenthal), als handfeste, keinesfalls unsympathische Figur. Selbst kinderlos kauft sie der verzweifelten jungen Pauline ihr Neugeborenes ab und gibt es später vor ihrem Mann John (Thomas Eisen) als ihr eigenes aus.

Und dann ist da noch die gut gekleidete bürgerliche Bildungsgesellschaft, die um Ex-Theaterdirektor Hassenreuter (Albrecht Goette) fern ab und doch so nah dieser sozialen Unterschicht schwülstige Theaterproben durchführt, mit dem Ziel, irgendwann ruhmreich auf den Bühnen der Welt glänzen zu können. Thomas Braungardt überzeugt hier besonders als verstockter Samtanzugträger und angehender Schauspielstudent Erich. Auf dem Dachboden zettelt er ernsthafte Theaterdiskussionen mit Hassenreuter an, wenn er nicht gerade dessen wohlbehüteter Tochter Walburga unters brave weiße Seidenröckchen kriecht. Annika Schilling zeigt eine herrlich doppelbödige Bürgerstochter, die es in punkto Liebe mit Erich hinter dem Rücken der väterlichen Obhut kräftig krachen lässt.

Sie alle bekommen von den röchelnden, problembeladenen Gestalten, die in abgewetzten Räumen hausen, jedoch nichts mit – weil sie so sehr mit sich beschäftigt sind, dass sie gar nicht hin-, und wenn dann lieber gleich wieder wegschauen. Sie merken nicht, wie Pauline auf einmal bunt gestylt zurückkehrt und ihr Kind von Frau John zurückfordert. Sie merken nicht, wie diese ihren zwielichtigen Bruder Bruno (Jonas Friedrich Leonhardi) auf die junge Frau hetzt, ein weiteres Kind raubt, um das vermeintlich „ihre“ behalten zu können. Allein die junge Selma, selbst eine arme junge Gestalt, die am Rande der Gesellschaft vor sich hinvegetiert, zeigt sich am Ende als aufmerksame Beobachterin. Lea Ruckpaul scheint diese Rolle der schnottrig-pfiffigen Nachbarin wie auf den Leib geschrieben. Sie scheint das menschliche Spiegelbild der schäbigen Wände zu sein, jung und naiv, aber ehrlich und dennoch in ihrer Umgebung verhaftet, wie all die anderen armen Teufel.

So bringt Lietzows zeitlose Inszenierung auch 2013 gelungen auf den Punkt, was Hauptmann 1911 mit seinen „Ratten“ anprangern wollte. Die ursprüngliche Natürlichkeit der einfachen Leute steht der gestelzten Künstlichkeit der Bürger gegenüber. Das ist dank vielen gut inszenierten Details bisweilen so urkomisch, dass es fast wehtut. Im Umkehrschluss wirken ernsthafte Theaterproben tatsächlich wie ein ulkiger Witz, während im Untergrund existenzielle Probleme wabern und einfache Eheleute mit Kinderwagen, vom Leben ohnehin gezeichnet, das Glück vergeblich festzuhalten suchen.

Da verbeugen sich zwei ehrgeizige Schauspielschüler wie Marionetten unter den Anweisungen Hassenreuters, bevor ein Wehschrei das Leiden einer Mutter artikuliert. Komik und Tragik wechseln ständig. Die Bühne spielt dabei gekonnt mit Licht und Schatten. Wirklich berührend wird es, wenn Pauline anfängt, ihr Schmerzenslied zu singen (Musik: Gilbert Handler) – die Musik, sparsam eingesetzt, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche dramatische Tiefe. Und dann ist da noch das plötzlich, kurz auftauchende Video-Karussell, es dreht und dreht und dreht sich, gerade an der Stelle, als der Kampf ums neue Leben seinen Höhepunkt erreicht …

Gerhart Hauptmann „Die Ratten“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 13.5., 4.6., 13.6., 21.6., 3.7., jeweils 19.30 Uhr

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Hamlet als Konzert

Shakespeare am Dresdner Schauspielhaus

Das hat das Dresdner Schauspielhaus wohl in 100 Jahren so noch nicht gesehen: Stehende Ovationen schon am Anfang der Premiere von Shakespeares „Hamlet“ (Foto: Matthias Horn) am 24. November. Doch gilt der Applaus (noch) nicht den Schauspielern, sondern ist vielmehr ein ironischer Geniestreich von Regisseur Roger Vontobel, bei dem das Publikum gleich zu Beginn der Inszenierung Teil eines großen Auftritts wird. Die Bühne ist hier ein Spiegel des feudalen Zuschauerraumes des Großen Hauses selbst (Claudia Rohner), in dessen mittelster Loge König Claudius (Torsten Ranft) und seine Gattin Gertrud (Hannelore Koch) Platz genommen haben. Kurz darauf tritt Christian Friedel als blass-leidender Hamlet auf und komplettiert somit seine eigene Band, die hier freilich nicht als „Woods Of Birnam“ musizieren, sondern für das Spiel im Spiel eher zu Nebendarstellern werden. Denn dieses Konzert gehört freilich – als rockiges Requiem für Hamlets just verschiedenen Vater – ebenso zum Stück.

Vontobels Hamlet in schlichter schwarzer Trauerkleidung, die wie seine Musik eindeutig aus dem 21. Jahrhundert stammt (Kostüm: Ellen Hofmann), ist ein selbstversunkener Künstler, ein sensibler Geist, der mit seinen Kompositionen verschmilzt, dem Leben aber nur die leidigsten Seiten abtrotzen kann. Rezitiert Friedel zunächst mehr die dem Shakespeare‘schen Text entlehnten Rocksongs, denn seinen Text aus der Schlegel‘schen Originalübersetzung, so nimmt man ihm diesen leidenden, egozentrisch auf der Bühne zappelnden Hamlet, doch irgendwie von der ersten Minute an ab. Gut möglich, dass dieser verrückte Egomane sich den Mord am eigenen Vater vielleicht nur eingebildet hat. Die Musik ist sein Geist und sie ist es denn auch, die den Zuschauer trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise an das Stück sofort in selbiges hineinzieht – ohne erst Raum für Zweifel zu lassen.

Tatsächlich nimmt die Hamlet-Handlung parallel in den oberen Rängen auf der Bühne dann langsam ihren Faden auf. Denn während Hamlet unten seinen musikalischen Tribut für den Vater rockt, thront in der Mittelloge König Claudius mit protziger Krone neben seiner Geetrud, die Hannelore Koch als schillernde, aber durchaus gütige First-Lady mimt. Rosenkranz (Jonas Friedrich Leonhardi) und Güldenstern (Benedikt Kauff) werden prompt von ihr ermahnt, ein freundschaftlich wachsames Auge auf den Hamlet zu haben. In der dritten Loge schmachtet indes die träumerische Schwärmerin Ophelia (Annika Schilling), obwohl ihr Bruder Laertes (Matthias Reichwald) sie eindringlich vor dem Musiker da unten warnt. Und Ahmad Mesgarha gibt einen grandios schwafelnden Polonius, bevor die neuerdings in allen Stücken unverzichtbare Videoprojektion kurz hinter das Bühnenbild entführt und Hamlet wenig später die klassische Mausefalle – in diesem Fall natürlich als provozierenden Popsong mit eigener Band konzipiert – anstimmt. Dieses Lied treibt, wie erwartet, einen nervösen Ausdruck in die Augen des Königs, wie Horatio (Sebastian Wendelin) im großprojiziertem Video festhält.

Inzwischen ist auch Friedel als Hamlet gänzlich in Fahrt gekommen. Er zetert, zürnt und explodiert, lamentiert sein berühmtes „Sein oder nicht sein“ – und beweist, dass er es doch kann, das mit dem Schauspielern in großen Rollen. Singen ja sowieso. Vor allem in der zweiten Hälfte des gut dreistündigen Abends kann er sich so richtig entfalten. Die Instrumente sind verschwunden. Fast droht die klassische Theaterszene ohne die Musik zunächst hinter dem actionreichen Beginn zu verblassen. Und doch fängt sich das Stück recht schnell von selbst, ganz allein mit klassischer Schauspielkunst, wie man dankbar feststellt – und dazu ohne auch nur ein bisschen von seiner Spannung einzubüßen. Die Kulisse ist zur Palast-Wohnung geworden, Friedel indes kommt nun als jugendlich-ungestümer Hamlet erst richtig zur Geltung.

Ebenso wie Annika Schilling als unglückliche Ophelia, die nun vom Wahnsinn getrieben in Hamlets schwarzem Trauerhemd, später auch ganz ohne, über die Bühne taumelt. Schilling beherrscht die Entwicklung von der liebesblinden hin zur enttäuschten und verlorenen Ophelia in allen Abstufungen und lässt dieses verwirrte Wesen am Ende, trotz kleiner Übertreibungen, doch berührend umherirren. Nur einmal droht das Ganze kurz ins unangenehm Ulkige abzukippen, als sie als lang befederte Totengräberin erscheint. Doch das bleibt bloß Momentsache.

In der Schlussszene kämpft Hamlet dann vor allem mit sich selbst – und Christian Friedel gibt trotz sichtbarer Erschöpfung noch einmal alles. Nun ist er Hamlet, Königin, König und Laertes zugleich, wechselt die Rollen wie die Positionen – und bleibt trotzdem der Verlierer. Wenn die Kulisse wieder nach vorn fährt, sitzen Claudius, Gertrud, Güldenstern, Rosenkranz und Laertes wieder wohlbehalten oben im heimischen Palastzimmer. Selbst sein guter Freund Horatio hört Hamlets Rufe nicht, bevor dieses Theater-Konzert ein für alle Mal zu Ende ist. Keine stehenden Ovationen, dafür verdient tosender Applaus, diesmal gilt er tatsächlich einem brillanten Ensemble. Sogar die Frage, ob es reicht, Hamlet als verzogen-wirren Sohn zu interpretieren, kann nach einem solch erfüllten Theaterabend getrost unbeantwortet bleiben.

„Hamlet“ am Dresdner Schauspielhaus, wieder am 26.11., 6.12., 12.12., 26.12. je 19.30 und 30.12., 19 Uhr

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