Buhrufe für die Freiheit

„Manon Lescaut“ an der Semperoper

Es ist ein zeitloser Kampf zwischen Liebe und Geld, eine Kreisbewegung von Gefühl und Verstand, die in Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“ zweieinhalb Stunden lang immer wieder neu aufflammt. In Stefan Herheims Inszenierung an der Semperoper Dresden (Premiere am 2.3.13) jedoch wird diese Kreisbewegung kein bisschen langweilig. Der gebürtige Norweger begeisterte in Dresden schon 2010 mit seiner bildgewaltigen Inszenierung von Dvoraks „Rusalka“ sowie mit seiner Interpretation von Bergs „Lulu“ im vergangenen Jahr. Nun verpackt er auch Puccini in einen betörenden Bilderreigen mit überraschenden Sichtweisen.

Der amerikanische Traum von Freiheit und Puccinis Ringen um das beste Libretto – an dem nicht weniger als acht Librettisten beteiligt waren – sind die beiden Ausgangspunkte, von denen aus Herheim seine Inszenierung in ein neues Licht taucht. Gleich zu Beginn baut Renato des Grieux (Thiago Arancam) in seinem Pariser Atelier an einer lebensgroßen Freiheitsstatue, als ihm schließlich die schöne Manon Lescaut über den Weg läuft, in die er sich sofort verliebt. Auch Manon (Norma Fantini) hegt Gefühle für den mittellosen Künstler, entscheidet sich jedoch für den reichen Geronte (Maurizio Muraro). Fortan beginnt des Grieux’ Kampf um seine Geliebte, der sich hier, unter dem überirdischen Kopf der amerikanischen Freiheitsstatue (Bühne: Heike Scheele), nicht nur als Sehnsucht nach Liebe, sondern auch als Sehnsucht nach Unabhängigkeit zeigt. Herheim lässt auch in dieser Oper symbolbeladene Bilder sprechen. So etwa eine große Tafel mit drei Zahlen: Der 4. Juli 1776, man ahnt es, ist der Tag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

Beobachtet von den Erbauern der Freiheitsstatue bandeln die beiden Verliebten also miteinander an (Foto: PR/Matthias Creutziger), um später zu erfahren, dass selbst in Amerika keine uneingeschränkte Freiheit herrscht. Denn ausgerechnet das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird für Manon zum Ort der Verbannung. Und auch dafür findet Herheim starke Bilder: Die Heldin erscheint hier zwölffach gefesselt im Baugerüst der Freiheitsstatue, wird später inmitten anderer Frauen vors Gericht geführt und gesteht des Grieux am Ende schließlich doch noch ihre Liebe. Von Anfang an präsent ist dabei zudem die Figur des Schriftstellers mit dem schwarzen Hut (Mathias Kopetzki), der wohl ein bisschen Puccini selbst, ein bisschen auch des Grieux in späteren Jahren darstellt, als dieser – noch immer berührt – seine Geschichte zu Papier bringt.

Bei aller Bildhaftigkeit lässt Herheim stets genug Raum für die Musik. Puccini hat darin das ganze große Pathos der italienischen Oper, aber auch den Aufruhr und die Leidenschaft des Aufbruchs verpackt, die das Bühnenbild gleichsam hörbar widerspiegeln. Chefdirigent Christian Thielemann führt die Sächsische Staatskapelle Dresden erhaben durch diese Oper. Drama, Spannung und Melancholie, aber auch kitschige Süße wechseln in der Partitur – und das Orchester beherrscht in der Premiere alle diese Facetten brillant. Die Töne fügen sich zu einem Klang wie Samt und Satin, weich fließend, dann wieder aufgeregt wie ein Herzschlag. Gänsehaut im Publikum.

Gesanglich begeistert allen voran Norma Fantini als Manon Lescaut, in deren glockenklarer Stimme viel Dramatik mitklingt, egal ob sie kraftvoll anschwellt oder gefühlvoll die leisen Stellen ihrer Partie auskostet. Maurizio Muraro gibt einen rauen, kantigen, brillant darauf abgestimmten Ehemann Geronte. Dagegen scheint der international renommierte Tenor Thiago Arancam als des Grieux von Anfang an ein wenig schwach auf der Brust, kommt auch im Laufe des Stückes nicht so richtig in Fahrt und erntet dafür am Premierenabend – dennoch zu Unrecht – unverschämt hämische Buhrufe. Ebenso wie die Inszenierung selbst, die an dieser Stelle trotzdem als eine der besten in dieser Spielzeit gelobt werden muss.

„Manon Lescaut“ an der Semperoper Dresden, wieder am 06.03. (19 Uhr), 10.03. (18 Uhr) sowie am 28.04., 01.05., 04.05., 18.06., 23.06., 27.06.

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Fulminantes Zirkusspiel

Bergs „Lulu“ an der Semperoper

Dompteure, Raubtiere, Clowns und Seiltänzer – es ist ein einziger großer Zirkus, den Regisseur Stefan Herheim dem Publikum in seiner „Lulu“-Inszenierung an der Semperoper vorführt. Dabei dreht sich in diesem – bereits an den Opernhäusern in Kopenhagen und Oslo erfolgreichen – ironischen Spiel des Theaters mit dem Theater eigentlich alles um die Hauptfigur. Lulu, auch Nelly oder Mignon genannt, hat viele Gesichter. Ob als schlummernde Venus, Femme fatal, Clowin, Ehefrau oder Braut, bleibt sie am Ende der Inbegriff des Weiblichen – verehrt, verführt, verheiratet, verrucht, verliebt und vergewaltigt.

Alban Bergs Oper ist nach der Vorlage zweier Tragödien von Frank Wedekind („Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“) entstanden – und eine einzige Hommage an die Sinnlichkeit. Die Figur der Lulu wird dabei zur Illusionsfläche männlicher Phantasien. Mit viel Liebe zum Detail verwandelt Herheim dieses zirkushafte Ränkespiel auf der kleinen in der großen Bühne (Bühne: Heike Scheele) in ein buntes, bilderreiches Spektakel, ohne dass Lulu gänzlich auf ihre allgegenwärtige Erotik reduziert bleibt. Gisela Stille, die die Partie der Lulu bereits in Kopenhagen und Oslo sang, brilliert dabei in der Titelrolle. Gesanglich wird sie zum Star des Abends, wenn sie auch schwere Passagen mit souverän kraftvoller Stimme vorträgt und musikalisch scheinbar über allen schwebt, während die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Cornelius Meister ihrerseits begeistert.

Die vierstündige Aufführung fasziniert so auch am Dresdner Opernhaus als eine aus Witz, Musik und der Tragik des Endes feinsinnig abgestimmte Gesamtkomposition.

Nicole Laube

(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“, am 07.03.2012)

Dresden, Semperoper wieder am 25.3. und 28.3., je 19 Uhr

Foto: Semperoper/Matthias Creutziger

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