Der einsame Schnösel aus der Stadt

Tschaikowskis „Eugen Onegin“ beschließt die Saison an der Semperoper Dresden

Er ist der Macho, der Unnahbare, der sich allen gesellschaftlichen Regeln widersetzt. Ein Mann, der sich in Rebellion flüchtet, unfähig, etwas anderes als sich selbst zu sehen. Am Ende jedoch wird „Eugen Onegin“ (1878) in Piotr Iljitsch Tschaikowskis Lyrischen Szenen nach einem Roman von Alexander Puschkin dann doch noch ganz weich – und kämpft. Er kämpft um Tatjana, eine Frau, die ebenso wie er am Rande einer Gesellschaft steht, in der Gewohnheit als Ersatz für Glück gilt – und er verliert. Was für ein Stoff und was für Musik, die Tschaikowski geschrieben hat, um Angst, Liebe, Sehnsucht und Hass vor der Folie einer öden Epoche ohne Heroen in poetische Klänge zu gießen. Kein Wunder, dass dieses eigentlich unspektakuläre und doch so berührende Werk zu den Schlagern der Operngeschichte zählt. Die Semperoper Dresden (Fotos: PR/Jochen Quast) hätte jedenfalls kein besseres finden können, um die diesjährige Saison zu beschließen.

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Verführerischer Zigeunertanz

Bizets „Carmen“ erobert die Semperoper

„Die Liebe ist ein wilder Vogel“, singt „Carmen“ in der gleichnamigen Oper (1875) von Georges Bizet und meint damit wohl vor allem sich selbst. Wild und freiheitsliebend ist diese Carmen, die zwei Männer liebt, dabei aber auch ein Inbegriff des Weiblichen ist – verführerisch, leidenschaftlich, emotional, sexy  und durchtrieben. Bizets Werk, das heute zu den am häufigsten aufgeführten Opern des internationalen Repertoires gehört und dessen Melodien jedem irgendwie bekannt sind, erobert nun in einer Inszenierung von Axel Köhler als Neuproduktion (Premiere am 28.9.) die Bühne der Dresdner Semperoper.

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Tierisches Opernspektakel

Mozarts „Titus“ an der Semperoper

Regisseurin Bettina Bruinier lässt in Mozarts „La clemenza di Tito“ an der Semperoper Fuchs und Adler zusammentreffen und vereint so Oper und Fabel auf neuartige Weise.

Irgendwie scheint es clever, Mozarts messerscharfen musikalischen Figurencharakterisierungen in „La clemenza di Tito“ ein tierisches Gesicht zu verleihen. So wird der milde Herrscher Titus (Steve Davislim ) in der aktuellen Inszenierung an der Semperoper zum Adler und dessen durchtriebene Angebetete Vitellia (Amanda Majeski ) zur schlauen Füchsin. Regisseurin Bettina Bruinier gibt dem Stoff damit eine ganz neue, ironisch-fabelhafte Ebene (Kostüme: Mareile Krettek). Abgesehen davon spielt die Geschichte um Verrat und Güte an der Semperoper aber genau dort, wo Mozarts Librettist Pietro Metastasio sie 1791 anlegte: im alten Rom (Bühne: Volker Thiele). Dort überflügelt Adler Titus sein Reich, während Füchsin Vitellia und Hund Sesto (Anke Vondung) Intrigen spinnen (Foto: PR/Matthias Creutziger). Alle drei brillieren mit grandiosen Sangesleistungen. Vor allem Steve Davislim verfügt stimmlich über alles, was Mozarts Herrscherpartie braucht.

Spätestens im zweiten Akt, Rom ist längst in Schutt und Asche gebrannt, gerät das Tierfigurengefüge der Inszenierung jedoch ein wenig ins Wanken. Hund Sesto ist der Erste, der seine tierische Maske zugunsten reuiger Menschlichkeit fallen lassen darf. Der Zuschauer jedoch muss nach den bunten Szenen des ersten Aktes nun ein eher statisches Spiel in Kauf nehmen. Nicht nur die Masken der Protagonisten, auch die der Inszenierung scheint sich an dieser Stelle zu lüften, wird die Reduktion der eigentlich bis heute universell gültigen Oper auf eine klassische, eher brave und daher langweilige Lesart nun überdeutlich. Spannend ist hier allein die musikalische Interpretation von Sängern und Staatskapelle unter der Leitung Tomáš Netopils. Auch wenn der Schlusschor am Ende noch einmal zur gewaltigen Szene gerät, so bleibt das Werk insgesamt zwar als gelungene, jedoch keinesfalls herausragende Regiearbeit in Erinnerung.

Nicole Czerwinka

(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“ Nr. 15 vom 06.06.2012)

Semperoper Dresden, wieder am 08.06. und 15.6., 19 Uhr

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