Rasant durch die Ikea-Tristesse

Die Opernklasse der Musikhochschule zeigt Kurt Weills „Street Scene“ am Kleinen Haus

Sie gehen ein, sie gehen aus. Und zwischen den Etagen eines schäbigen Mietshauses irgendwo in einer schäbigen Großstadt tanzen die Sehnsüchte und Ressentiments im Takt der Welt. Mit Kurt Weills „Street Scene“ (Fotos: Klaus Gigga) hat die Opernklasse der Musikhochschule Carl Maria von Weber Dresden (HfM) für ihre aktuelle Kooperationsarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden ein rasantes Stück über das Leben der normalen Leute auserkoren. Wobei die Bezeichnung Oper nicht ganz trifft, schwingt bei den verführerischen Melodien, in die Weill allerhand jazzigen Esprit hineinkomponierte, doch immer auch etwas Broadway-Glanz mit.

Die Inszenierung von Barbara Beyer bleibt im Kontrast dazu vielleicht bewusst nüchtern. Im Kleinen Haus des Staatsschauspiels kommt sie im lichten Gewand einer IKEA-Kulisse daher: Stühle und Sofas in Regalen symbolisieren die Etagen des Hauses, in dem es turbulent zugeht: Liebe, Ehebruch, ein Baby, das erst noch geboren wird, und allerhand Tratsch bestimmen den Alltag der Bewohner, die im Bühnenbild von Kristin Buddenberg und in den Kostümen von Christina Sieber beinahe wie vertraute Nachbarn von heute wirken.


Anna Kudriashova als Rose (Foto: Klaus Gigga)

Aus der quirligen Betriebsamkeit der Szene schälen sich nach und nach einzelne Charaktere heraus, wobei Anna Kudriashova als Rose besonders verzaubert. Sie verleiht dem jungen Mädchen, das noch sehnsuchtsvoll einen Platz in der Gesellschaft sucht und zusehen muss, wie ihre Mutter Opfer eines Eifersuchtsmords wird, klare Kontur und Wandlungsfähigkeit. Ihre Rose berührt im Liebesduett mit Sam (Inkyu Park) und zeigt sich zugleich entschlossen in der Begegnung mit dem schleimigen Kollegen Mr. Easter (Gerry Zimmermann). Etwas introvertierter wirkt Aleksandra Chebotar als Roses Mutter Mrs. Maurrant, wobei sie gerade in dieser Zurückgenommenheit die Tragik der vom Ehemann Ermordeten noch betont und gesanglich berührend auf die Bühne bringt. Sukwoo Kang verleiht Mr. Maurrant mit seiner kräftigen Baritonstimme im Kontrast nahezu einschüchternde Autorität.

Überhaupt liegt die besondere Stärke dieses Abends in der Musik. Das Sinfonieorchester der HfM, der Opernchor des 1. Studienjahres und das Sängerensemble fesseln unter der Leitung von Franz Brochhagen mit einem inspirierten, lebhaften Spiel. Kurt Weills Melodien wehen schwungvoll durch den Saal und beschreiben den grauen Alltag, vor allem aber den Gemütszustand der Figuren in den schillerndsten Farben, mal bitter ironisch, mal schwelgend, dann düster tragisch. Das Orchester kostet diese Akzente so gelungen aus, dass Gassenhauer wie „Diese Hitze“ („Ain’t It Awful, The Heat?“) noch auf dem Nachhauseweg im Ohr klingen. Das Prickeln im Orchestergraben gibt der Handlung den Takt vor, treibt die Protagonisten an, lässt Unsichtbares sichtbar werden. Gepaart mit der enormen Spielfreude der jungen Sänger, der die Regie durchaus mehr Raum hätte gewähren dürfen, wird die Aufführung zu einer der aufregendsten Hochschulproduktionen der vergangenen Jahre.

Die Ensembleleistung ist insgesamt stark, zu loben auch die Textverständlichkeit der deutschen Version von Weills Stück. In der Mitte des zweiten Aktes nimmt es dann noch einmal richtig Fahrt auf, wenn Schüsse fallen und Sorgen sich über die Szene legen wie dunkle Gewitterwolken. Es ist der Ausbruch aus dem Alltag, ein bizarrer Aufschrei des Schmerzes, bevor schließlich alles so weitergeht wie es zuvor begann: Mit belanglosem Klatsch und Tratsch in der Hitze, irgendwo in einem schäbigen Mietshaus in einer schäbigen Großstadt.

Info: Kurt Weill „Street Scene“ am Kleinen Haus, weitere Aufführungen am 1.5., 8.5., 13.5., 19.5., 25.5. und 29.5.

www.hfmdd.de   

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