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Ralf Günthers historischer Roman “Arzt der Hoffnung” offenbart Parallelen zur Gegenwart

August 1892: Hamburg ist im Ausnahmezustand. Als die Cholera in der Stadt ausbricht, schickt die Reichsregierung keinen Geringeren als Doktor Robert Koch, um die Seuche in der Hansestadt zu besiegen. Koch, eine Epidemie, Moment mal? Kommt uns das nicht bekannt vor? – Genau! Der Dresdner Autor Ralf Günther beschreibt in seinem historischen Roman “Arzt der Hoffnung”, was seit beinahe zwei Jahren für uns Realität ist: Das Wanken zwischen dem Leben mit und dem gemeinschaftlichen Kampf gegen eine Seuche.

Dabei war Corona, als er im Januar 2020 für den Roman über die Figur Robert Kochs zu recherchieren begann, allenfalls eine böse Vorahnung. Wenige Wochen später hatte sich die Pandemie auch über Europa ausgebreitet – und das historische Buchprojekt bekam neben der zentralen Figur Robert Kochs plötzlich ganz aktuelle Vorbilder.

Rasant zunehmende Infektionen, Todesfälle, Quarantäne, schließlich die Abriegelung einer ganzen Stadt sind längst keine literarische Fiktion mehr. Ralf Günther bewahrt dennoch stets das historische Kolorit seiner Geschichte und zeigt seinen Protagonisten nicht allein als Arzt und Wissenschaftler, sondern auch von einer ganz privaten Seite: Die Liebe zu seiner deutlich jüngeren Verlobten Hedwig löst in der konservativen Hamburger Stadtgesellschaft ebenso Kopfschütteln aus wie Kochs Forderungen nach hinreichendem Infektionsschutz und so muss der Arzt bald nicht nur als Wissenschaftler im Kampf gegen die Cholera seinen Mann stehen.

Günther beschreibt ihn als kühlen Analytiker und durchsetzungsstarken Mediziner, wobei Koch durchaus den Konventionen seiner Zeit verpflichtet bleibt. Ganz anders dagegen seine junge Geliebte Hedwig, die ihm selbstbewusst zur Seite steht und mutig gegen die gesellschaftlichen Widerstände kämpft, ohne sich und ihre eigenen Ziele dabei aufzugeben. Die Verbindung der beiden erscheint schließlich fragiler, als sie es am Ende wirklich ist. 

Spiegelbildlich zu dieser Liebe gegen die Konventionen der Zeit steht auch das Ringen um neue hygienische Standards und verlässliche politische Zusagen. Auf der Suche nach den Ursachen der Seuche wendet Robert Koch nahezu detektivische Fähigkeiten auf, wobei es frappierend scheint, wie sich die Erfahrungen aus Cholera und Corona ineinander spiegeln: Das Zögern der Politik, die Verharmlosung von Todesopfern, die Angst vor wirtschaftlichem Ruin prägten schon zu Zeiten Robert Kochs den Umgang mit der Epidemie, was sich etwa daran zeigt, dass der Hafen, Hamburgs Tor zur Welt, erst viel zu spät abgeriegelt wird.

Als die Zahl der Toten unkontrollierbar in die Höhe schnellt, gelangen nicht nur die Krankenhäuser an ihre Grenze. Die wissenschaftliche Gemengelage ist unübersichtlich und nur über Umwege gelingt es Koch, herauszufinden, warum sich die Cholera derart rasant in Hamburg ausbreitet.

Ralf Günther verzichtet dankenswerter Weise trotz der offensichtlichen Parallelen zur Gegenwart auf unnötige Dramatisierung. Er macht sich vielmehr eine wissenschaftliche Genauigkeit zu eigen, mit der er belegte historische Details authentisch beschreibt, während die fiktive Geschichte ein spannendes Eigenleben entwickelt. Sie funktionierte gewiss auch ohne den Rückenwind der realen Erfahrung einer Pandemie und vermag selbst in der aktuellen Corona-Müdigkeit zu verzaubern.

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