Sehnsuchtsapparat mit Alpenillusionen

Bei Toni Burghard Friedrich wird das „Weisse Rössl“ an der Staatsoperette zur Überraschungskiste

Die Sehnsucht der Großstädter nach Alpenidyll und klaren Bergseen scheint ungebrochen. Zur Not verschafft jedoch auch schon eine schnoddrige Berliner U-Bahnkneipe mit jodelndem Putzmädchen die nötige Abwechslung vom Alltag. Ja, der Wolfgangsee ist in der Neuinszenierung von „Im Weissen Rössl“ (Fotos: Pawel Sosnowski) an der Staatsoperette Dresden allenfalls eine schmutzige Hauptstadtpfütze – und doch zeigt Regisseur Toni Burghard Friedrich bei seinem Debüt am Haus eine herzerfrischend humorvolle Lesart des populären Bühnenschlagers.

Der Trick liegt in einem gigantischen Gerät, einer Art Juckebox, genannt Österreich-O-Mat, in dem sich mittels Münzeinwurf alle klischeehaften Sehnsüchte von der heilen Alpenwelt livehaftig in der Kneipe heraufbeschwören lassen. Gassenhauer wie „Im Salzkammergut“ oder der erhabene Auftritt des Kaisers werden somit spielend in die Berliner Hinterhofkulisse integriert, während das Publikum äußerst unbeschwert in den altbekannten Melodien schwelgen kann.

Nein, vermissen wird man wirklich nichts in diesem „Rössl“. Kaum sind die ersten Gäste eingetroffen, geht es auch schon hoch her! Christian Grygas gibt einen wunderbar gehetzten Kellner Leopold, der seine Gäste gern mal vergisst, weil er schmachtend seiner Chefin Josepha den Hof macht. Die wird von Laila Salome Fischer als strenge Geschäftsfrau gezeigt, welche sich nicht so schnell ins Herz blicken lässt. Markus Liske bringt als berlinernder Wilhelm Giesecke lebensfrohes Lokalkolorit ins Spiel. Das „Rössl“ ist zwar nicht Mallorca, aber lustig wird es dennoch – wofür auch seine Tochter Ottilie sorgt, die Christina Maria Fercher als flotte Biene zeigt. Timo Schnabel gibt den brüskierten Dr. Seidler, doch der Österreich-O-Mat küsst schließlich selbst Seidlers wilde Alpenseele im Duett mit Ottilie wach. Die Überraschung des Abends ist wohl Ella Rombouts als Hausmädchen Kathi. Sowohl stimmlich als auch spielerisch zieht sie immer wieder die Blicke auf sich und verführt mit viel Humor den schönen Sigismund alias Riccardo Romeo zum leidenschaftlichen Kuss. Nicht zu vergessen Herbert G. Adami, der als Piccolo alle Zimmerschlüssel fest in der Hand hält und der Akkordeonist Wladimir Artimowitsch als melancholischer Straßenmusiker.

Nein, langweilig wird es im Berliner Amüsierlokal gewiss nicht. Schlagfertige Dialoge, köstliche Situationskomik, pfiffige Choreografien (Marie-Christin Zeisset) und die enthusiastische Spielfreude des Ensembles, die bis in den Orchestergraben ausstrahlt, machen den Abend zum unbeschwerten Vergnügen. Die Drehbühne wechselt zwischen verführerischer Sehnsuchtsszenerie und nüchterner Großstadtkulisse, wobei der Bühnenvorhang immer wieder der Revuetradition des Stückes die Ehre erweist. Bei aller Leichtigkeit offenbaren sich dabei auch tiefere Einblicke in die Figuren, die in der Ausstattung von René Fußhöller und Antonia Kamp sehr heutig wirken. Mit „Es muss was Wunderbares sein“ beschert Christian Grygas etwa unmittelbar nach dem turbulenten Auftritt des Kaisers einen Moment des Innenhaltens, in dem hintergründige Tragik aufblitzt. Das unbeschwerte Alpenidyll ist eben doch nur Klischee, in dessen Licht für kurze Zeit alle Schatten verblassen.

Passend zu diesem Regieansatz erklingen Ralph Bernatzkys mitreißende, auch jazzig schwelgende Gassenhauer in der kammermusikalischen Fassung der „Bar jeder Vernunft“ Berlin. Das Orchester der Staatsoperette Dresden beweist unter der Leitung von Johannes Pell dabei eindrücklich, dass weniger tatsächlich mehr sein kann. Die Musik wirkt oft wie die sehnsuchtsvolle Antwort aus dem Graben auf die gepfefferten Dialoge des Ensembles, sie belebt die bunten Bilder im Österreich-O-Mat wie in einem Varieté und wirkt in der vornehmen Zurückgenommenheit der reduzierten Besetzung dabei doch sehr zeitlos und modern.

Fast möchte man losziehen und das schäbige Lokal in Berlin selbst suchen gehen, nur um einmal hier Gast zu sein, beim Blick in den Österreich-O-Maten alle Sorgen zu vergessen und im Dirndl Walzer zu tanzen. Sehnen wir uns nicht alle nach ein bisschen heiler Welt? Wirkt die Alpen-Jukebox nicht auch wie eine moderne Flucht aus der Realität, ein unbeschwertes Fernsehspiel, das die raue Umgebung kurz vergessen lässt? Mag ein jeder sich seinen eigenen Reim darauf machen und einmal mehr in den bekannten Melodien schwelgen. Die Liebe für das „Weisse Rössl“ freilich bleibt auch und gerade in dieser Version ungebrochen.

Info: „Im Weissen Rössel“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 9.10., 10.10., 30.10. und 31.10.

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