Wo Worte fehlen …

Schönbergs „Moses und Aron“ ist ein starker Auftakt für die Saison an der Semperoper

Schon allein die Stückauswahl ist ein Ereignis: Intendant Peter Theiler bringt zu Beginn seiner ersten Spielzeit an der Semperoper Arnold Schönbergs (1874–1951) „Moses und Aron“ zurück nach Dresden. Jenes Stück, dem Harry Kupfer vor 43 Jahren die DDR-Erstaufführung in Dresden sicherte – und das mit 39 Aufführungen (geplant waren nur sechs) damals zum Überraschungserfolg wurde.

Dieses Werk ist kein gefälliges Wohlfühlstückchen. Der Stoff ist ein streng religiöser, handelt er doch von Moses, dem Vater aller drei Weltreligionen, in der Kulturgeschichte eine zentrale Figur für Sittlichkeit und Humanität. Moses empfängt Gottes Gedanken, um sie dem Volk zu verkünden. Weil er jedoch eine „ungelenke Zunge“ hat, zwar denken, aber nicht reden kann, holt er seinen Bruder Aron zu Hilfe, um Gottes Gedanken in Worte zu fassen und sie dem Volk zu übermitteln.

Nun wirkt das Ganze in Calixto Bieitos Neuinszenierung an der Semperoper (Fotos: Ludwig Olah) tatsächlich zunächst trocken. Die Oper beginnt nicht mit einer Ouvertüre, sondern in der Stille einer kalkweißen Kulisse. Das Bühnenbild von Rebecca Ringst könnte eine karge Gebirgslandschaft oder einen sterilen modernen Raum symbolisieren. Die Faszination dieser Oper offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Als die ersten Klänge einsetzen, ahnt man bereits, dass musikalisch ein großer Abend bevorsteht. Es ist ein zarter Chor, der wie ein Echo im Saal heraufweht. Die Sächsische Staatskapelle Dresden entfaltet unter der Leitung von Alban Gilbert vom ersten Moment einen einnehmenden Klangzauber, der den ganzen Raum zu packen scheint. Sie wird in den knapp zwei Stunden zum glanzvollen Erzähler.

Sir John Tomlinson ist ein edler Moses. Im warmen Timbre seiner Stimme spiegelt sich raue Wehmut. Dieser Sänger könnte gewiss auch ohne Kapelle und Inszenierung die Aufmerksamkeit eines ganzen Saales bannen. Mit Lance Ryan steht ihm in der Partie des Aron ein nicht minder vielseitiger Tenor zur Seite. Beide verfügen über einen strahlenden Ausdruck, sind die tragenden Säulen des Sängerensembles. Hinzu kommt ein furioses Chorensemble, das die Stimmen des Staatsopernchors mit denen des Vocalconsort Berlin, des Sinfoniechors Dresden und des Kinderchors der Sächsischen Staatsoper vereint und unter der Leitung von Jörn Hinnerk Andresen gewaltige Gänsehautmomente beschert. Wenn dieser Chor „Wir wollen ihn lieben!“, singt und damit das Bedürfnis zur göttlichen Führung kundtut, bekommt man eine vage Ahnung, wie die Macht der Masse an Eigendynamik gewinnen kann. Sei es im Guten oder im Schlechten.

Oft beschreibt die Musik Szenen. Manchmal wirkt sie wie in eine ferne Welt versunken, eine einsame Geigenmelodie steht dem wilden Jubel des Volkes am Ende des ersten Aktes gegenüber. Das ist der Moment, in dem Aron die richtigen Worte gefunden hat, um die Menschen von der Macht Gottes zu überzeugen, damit sie Moses in die Wüste und damit in die Freiheit folgen. Es ist auch der Moment, in dem das Stück Fahrt aufnimmt. Denn spätestens hier wird klar: Religionsgeschichte ist auch immer die Geschichte der Macht. Von Verführung und Macht, von Lenkung und dem Willen gelenkt zu werden, erzählt Schönbergs Oper.

Schönberg hat sie in einer Zeit geschrieben, als die Welt im Umbruch war, als die ersten Symptome der nationalsozialistischen Ideologie bereits für ihn spürbar wurden. Harry Kupfer hat die Oper nicht grundlos 1975 nach Dresden, in die DDR geholt. Sie war sicher nicht wegen ihres religiösen, sondern wohl wegen des politischen Gehalts, der sich dahinter versteckt, damals so erfolgreich. Und Theiler transportiert das Stück nun in die Gegenwart.

Regisseur Calixto Bieitos, der mit „Moses und Aron“ sein Debüt in Dresden gibt, beschwört im ersten Akt noch fast biblische Bilder. Ein nackter Mann mit einer Ziege taumelt in die Kulisse, als sei er eben falsch abgebogen. Im zweiten Akt greift Aron in die Trickkiste, um das vom plötzlichen Verschwinden Moses‘ verunsicherte Volk zu beruhigen. Er teilt VR-Brillen aus, jene magischen Gegenstände, die uns in virtuelle (Traum-)Welten führen. Die schöne Welt der bunten Bilder. Opium fürs Volk. Die gipfelt – auch bei Schönberg – in einer Orgie, die Bieito hier in verpixelten Pornobildern und Datenreihen an die weißen Wände projiziert, wobei der Chor sich lüstern windet. „BE GOD YOURSELF“ läuft bald in Versalien (Video: Sarah Derendinger) über die Kulisse. Ein Spruch, der an die Möglichkeiten von digitalen wie Bio-Technologien gemahnt, die Computer zu lebensechten Robotern und Lebewesen zu Genzüchtungen generieren.

Aron sieht aus wie ein Bänker oder Regierungschef. In Nadelstreifen und Krawatte (Kostüm: Ingo Krügler) versucht er die drohende Anarchie mittels Unterhaltung zu verhindern. Bis Moses wieder auftaucht und dem Spuk ein Ende bereitet. Auf die Frage, wie man die Reinheit der (göttlichen) Idee adäquat den Volksmassen übermitteln kann, finden beide keine Antwort. Wo immer Worte oder Bilder sind, da ist auch Interpretation. Arnold Schönberg wollte dem Werk noch einen dritten Akt hinzufügen. Er blieb bis zum Tod des Komponisten unvollendet. Doch an diesem Abend scheint mit dem letzten Ton ohnehin alles gesagt.

Arnold Schönberg „Moses und Aron“ an der Semperoper, wieder am 3., 6., 10. und 15. Oktober

Weitere Rezensionen zu „Moses und Aron“: Michael Ernst in der nmz, Jens-Daniel Schubert in der SZ, …

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