Oper am Scheideweg

Keith Warner zeigt Verdis „La forza del destino“ als düsteres Märchen an der Semperoper

Was ist Schicksal? Ist es eine höhere Bestimmung, der wir nicht entfliehen können oder eine Mischung aus individueller Entscheidungsfreiheit und äußeren Zwängen? Giuseppe Verdis Oper „La forza del destino“ (1862) erzählt von einer Liebe, die viele Opfer fordert, von Flucht und Verfolgung. Mehrfach führt Verdi die Figuren mit seinem Librettisten Francesco Maria Piave an den Scheideweg. An der Semperoper (Fotos: Jochen Quast) zeigt Regisseur Keith Warner sie auf einer großen Kreuzung. Es herrscht düstere Stimmung, die Schatten der Nacht scheinen niemals vor der Sonne zu weichen.

Das Schicksal stellt Leonora und Alvaro auf eine harte Probe. Heimlich will das Paar flüchten, weil Leonoras Vater, der Marchese di Calatrava, diese Liebe unterbinden möchte. Es fällt ein Schuss, der den Marchese tötet und das Paar strandet, nun doch getrennt voneinander, an verschiedenen Orten, immer verfolgt von Leonoras Bruder Carlo, der den Tod des Vaters rächen will. Getrieben von den äußeren Umständen, von Familie, Krieg und Religion, treffen die Figuren ihre Entscheidungen – ohne das Glück zu finden.

Keith Warner setzt auf phantasievolle Bilder, lässt die Handlung wie einen düsteren Märchenfilm über die Bühne flimmern. In der Kulisse von Julia Müer öffnen sich von Zauberhand die Wände eines großen Hauses, um ein Portal, ein Wirtshaus oder ein Lazarett freizugeben. Die großen Szenen mit Chor sind prächtig ausgestattet. Im Kontrast dazu steht die Einsamkeit der Hauptfiguren, die auf der Kreuzung im Dämmerlicht nach dem richtigen Weg suchen. Ihr Zaudern, ihre Getriebenheit, die ganze Wucht, mit der sie das Schicksal konfrontiert, wird in der mehr als dreistündigen Aufführung jedoch vor allem in der Musik anschaulich.

Staatskapelle wird zum Erzähler

Das Orchester treibt sprichwörtlich das Rad des Schicksals an. Die Musik ist rasant und lebhaft, von abrupten Stimmungswechseln geprägt, aber auch lyrisch. Regisseur Keith Warner und Dirigent Mark Wigglesworth haben die Ouvertüre hinter den ersten Akt geschoben, wodurch dieser wie ein Prolog erscheint. Das überrascht zunächst, führt aber dazu, dass sich die Ouvertüre später tatsächlich wie im Film über die Szene legt. Sie bekommt so noch mehr Raum, ihre Wirkung zu entfalten. Ein Glück, dass sich Warner ganz auf die Sächsische Staatskapelle Dresden verlassen kann, die unter der Leitung von Wigglesworth zum ausdrucksstarken Erzähler der Oper wird.

Das Orchester hebt anfangs beinahe zurückgenommen an, um seinen warmen Klang bald mehr und mehr zum kraftvollen Motor des Schicksals aufzufahren. Mit einer Sängerin wie der Amerikanerin Emily Magee als Leonora entstehen dann jene Gänsehautmomente, für die man Verdis Opern liebt. Sie zeigt Leonora als starke Frau, die berührt, lässt ihre Zerrissenheit von der ersten Minute an spürbar werden. Ihr Gesang ist feinsinnig und gleichzeitig so mitreißend kraftvoll, dass man sofort davon gepackt wird.

Wahrsagerin als einziger Farbtupfer im Stück

Ganz anders sind die Männer aufgestellt: Da schimmert mehr Tatendrang, denn Emotion in den Stimmen. Gregory Kunde ist ein dynamischer Don Alvaro. Wie ein Wirbelwind fegt er hinein. Es gelingt ihm und auch Alexey Markov als Don Carlo jedoch nicht immer, die feinen Nuancen in der Musik stimmlich auszuloten. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden und der Sinfoniechor Dresden bezaubern unter der Leitung von Jörn Hinnerk Andresen, wobei die Chorszenen über einige Längen hinweghelfen. Christina Bock sticht als lebensfrohe Wahrsagerin Preziosilla heraus, die Warner als warmen Farbtupfen im Dunkel inszeniert. Ebenso wie Stephen Milling, der als Leonoras Vater und später als Padre überzeugt.

Besonders im zweiten und dritten Akt fehlt jedoch jenes Prickeln, das in der Oper unvergessliche Momente beschert. Die Bilder der Inszenierung scheinen sich immer wieder in sich selbst zu spiegeln, als wäre das Rad des Schicksals ein böser Kreislauf. Erst als Leonora ihre markerschütternde Arie im vierten Akt singt, sind das Leuchten und die Leidenschaft zurück. Es bleibt in erster Linie ein Abend der Musik, der kurz darauf dramatisch ausklingt. Ganz sicher einer, den man weiterempfehlen kann, auch wenn er nicht in allen Szenen packend ausfällt.

Verdis „La forza del destino“ an der Semperoper Dresden, wieder am 5. Mai, 8., 11., 16. und 19. Mai

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.