Gut oder schlecht? – Ist doch egal!

Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ enttäuscht am Staatsschauspiel Dresden

Regen prasselt auf die schräge Bühne im Dresdner Schauspielhaus. Vier arme Tröpfe stehen im Dunkel. Doch als die Frau im roten Kleid auftaucht, nimmt Bertolt Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ (Fotos: Sebastian Hoppe) auf einmal Fahrt auf. Shen Te, die ehemalige Nutte, die jetzt einen Tabakladen besitzt, rettet dem Flieger Yan Sun in dieser Szene das Leben – und verliebt sich in ihn.

Es ist eine Schlüsselszene in dem Stück, das die Regisseurin Nora Schlocker am Staatsschauspiel Dresden in der Version von 1943 inszeniert. Brecht hatte seine Parabel auf die Spaltung des Menschen im Kapitalismus zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach umgearbeitet und den politischen Gegebenheiten seiner Zeit angepasst. Die Idee dazu kam ihm 1926 ausgerechnet in Dresden. Seine Opium-Fassung von 1943 ist deutlich stringenter als die erste Version.

Ausbeutung in einer Phantasieregion mit chinesischen Namen

Das Stück spielt in einer Phantasiewelt, irgendwo im Nirgendwo in China. Es handelt von der Hure Shen Te, die als gutherzige Ladeninhaberin erfolglos und ausgenutzt dem Leben trotzt. Als sie aber einen Vetter erfindet, der das Geschäft allein durch die skrupellose Ausbeutung anderer zum Florieren bringt, erfährt sie, dass es kaum möglich ist, „ein guter Mensch zu sein und doch zu leben“, wie es die Götter ihr zu Beginn auferlegen.

Schlocker inszeniert neutral und ohne aktuelle Bezüge. Die Figuren stehen im leeren Raum wie in einem Versuchslabor aufgereiht. Jessica Rockstroh hat dazu ein Bühnenpodest geschaffen, das sich zu einer schrägen Ebene kippen und wieder flach einklappen lässt. Das passt sich wunderbar in die Reihe totgesparter Bühnenbilder ein, die schon seit einiger Zeit als Markenzeichen des Dresdner Schauspiels gelten können. Das Ensemble müht sich ab, an der glatten Fläche Halt zu finden, die Figuren geraten im Räderwerk der Ausbeutung ins Rutschen, während der Zuschauer nur müde gähnt.

Kostüme als Farbtupfer einer allzu schlichten INszenierung

Immerhin die Kostüme von Caroline Rössle Harper bringen kleine Farbtupfen ins Spiel: Die Damen tragen vom Schmutz des Elends gezeichnete Abendkleider in verschiedenen Rottönen, die Herren verschlissene Anzüge. Darstellerisch gibt es ein paar starke Momente, zwei- oder dreimal denkt man: Jetzt geht es endlich los! Als Shen Te den Selbstmord des Fliegers verhindert, nimmt das Stück kurz Fahrt auf und wenn sie am Ende schwanger und ohne alles auf der Bühne steht, flirrt die Luft. Doch der Effekt verpufft allzu schnell, um wieder im Gleichklang der Stimmen zu verebben.

Betty Freudenberg müht sich dabei redlich, die heimliche Verwandlung der Shen Te in den seltsamen Vetter Shui Ta lebendig zu gestalten. Sie zeigt das Ringen der herzensguten Nutte, wenn sie dem Flieger begegnet, für den sie den Laden aufgibt, um dann enttäuscht zu werden. Sie rührt als Schwangere und schreit fast hilflos vor dem Göttergericht am Schluss. Matthias Reichwald wirkt da eindimensionaler, er spielt den Flieger als gerissenen Junkie, dem er besonders am Ende Kontur als Milieukind verleiht. In der Rolle der Witwe Shin zeigt sich Gina Calinoiu engagiert und wechselt fast skrupelloser noch als Shen Te von der Seite der Armen auf die der Ausbeuter.

Die Moral ist verschluckt, die Parabel glatt gelutscht

Deleila Piasko, Moritz Dürr, Hannelore Koch, Karina Plachetka und Sven Hörnig wirken jedoch in der Gruppe der Armen mit ihren Einzelleistungen eher austauschbar. Worte fliegen über die Bühne, nicht saftig, sondern meist sanft. Dem Zuschauer bleibt – ähnlich wie dem Ensemble auf der schrägen Ebene – nichts zum Festhalten, der Text wirkt glatt gelutscht. Die Moral wie verschluckt.

Auch die Musik von Paul Dessau sowie die Arrangements und Kompositionen von Benedikt Schiefer wollen der Inszenierung nicht so recht auf die Sprünge helfen. Der Kammerchor Pesterwitz hat, geleitet von Anne Horenburg, nur am Anfang und am Ende des Stückes einen hellen Auftritt als Göttergericht. Die Sänger singen vom ersten Rang, im hinteren Parkett nicht wirklich sichtbar – außer durch das grelle Licht, das nicht nur im Saal, sondern auch von der Bühne aus ins Publikum blendet.

Zähe zwei Stunden mit Bertolt Brecht

Kaum zu glauben, dass zwei Stunden Brecht sich im Theater ziehen können wie Kaugummi. Als der Vorhang fällt, applaudiert das Publikum zur Premiere brav, bevor alle in die Nacht flüchten. Ob gute oder schlechte Menschen, das war vielleicht noch nie so egal wie an diesem Abend.

Brecht „Der gute Mensch von Sezuan“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 26.2., 11.3. und 17.3.

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