Einfach „Tschick“!

Die Landesbühnen Sachsen bringen den Erfolgsroman als punkige Oper auf die Bühne

Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „Tschick“ (2010) ist wohl eine der rasantesten Road Novels der letzten Jahre. Das Buch erlangte in kürzester Zeit Kultstatus, wurde 2016 verfilmt und eroberte in der Schauspielfassung von Robert Koall (2011) von Dresden aus die Bühnen im Land. Vor einem Jahr hat Ludger Vollmer die Story für das Theater Hagen in eine modern-schrille Opernpartitur gegossen, Tiina Hartmann schrieb das Libretto – und Sebastian Ritschel findet mit seiner Inszenierung der Road Oper (Fotos: Matthias Rietschel) an den Landesbühnen Sachsen jetzt graffitibunte Bilder für eine Jugend auf der Überholspur.


In zweieinhalb Stunden zeigt die Oper flott und kurzweilig, was der Roman auf 256 Seiten erzählt: Der 14-jährige Maik und sein Freund Iwan „Tschick“ wollen die Ferien nach dem 8. Schuljahr einmal anders verbringen. Kurz entschlossen knacken sie ein Auto und starten in die Walachei. Dass sie dort allerdings nie ankommen, liegt auch daran, dass das Leben am Wegesrand ein paar ungeplante Begegnungen für die beiden bereithält. Zwischen den typischen Problemen zweier Heranwachsender – der ersten Liebe, der Frage nach dem Dazugehören, den strengen Lehrern und einem Elternhaus, das nur sich selber sieht – bricht sich dabei immer wieder die jugendliche Unbeschwertheit ihre Bahn. Die Welt der Jungs dreht sich im Autoscooter um sich selbst und strandet hin und wieder im Reich der Freundlichkeit. Denn so skurril ihre Reise auch sein mag: Überall treffen Tschick und Maik auf Menschen, die ihnen helfen.

Schonungslose Jugendsprache trifft Lebensphilosophie

Ritschel verleiht dem Stück jugendliche Leichtigkeit, ohne dabei die Philosophie des Werkes an die Unterhaltsamkeit zu verraten. Er bereitet der Ironie die Bühne, manchmal auch dem Sarkasmus, wenn etwa graue Rentner ohne Zukunft oder Schweinemasken über die Bühne tanzen. Auch scheut er sich nicht, die derbe Sprache der Jugend schonungslos in den Saal zu schreien, auf dass diese Rufe brutal gegen Wände prallen, die das Leben den beiden Protagonisten in den Weg schiebt. Die Musik von Ludger Vollmer ist mit grellen Dissonanzen gespickt. Wuchtige Chorszenen kontrastieren mit tiefsinnigen Dialogen, doch auch flirrende Filmmusik und jazzige Bigband-Sounds gehören hier zur Abenteuerreise.

 

Die Elbland Philharmonie Sachsen beweist unter der Leitung von Hans-Peter Preu große Wandlungsfähigkeit. Mit Johannes Leuschner (Maik) und Michael Zehe (Tschick) haben die Landesbühnen zudem zwei junge Gastsänger gefunden, die den Hauptpartien nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch starkes Profil verleihen. Kirsten Labonte komplettiert das Dreiergestirn als punkige Rotzgöre Isa, die sie temperamentvoll und leidenschaftlich zeigt. Die einzelnen Reisestationen werden dank eines riesigen Ensembles lebendig, wobei der Opernchor der Landesbühnen vom Opernchor Sachsen ChoruSa und dem Jugendchor des Gymnasiums Coswig verstärkt wird. Einziges Manko in den Ensembleszenen ist die Textverständlichkeit, weil die Akustik im Stammhaus Radebeul dank Mikroports bei großer Dynamik schnell überbordet.

Eine der buntesten Opern der vergangenen Jahre

Der rasanten Erzählweise sei Dank sind diese Momente jedoch schnell vergessen, schon schiebt sich zwischen den Autoszenen die nächste Partygesellschaft auf die Bühne. Für einen wie Ritschel ist dieses Stück ein Fest: Mit Humor und Hintersinn zeigt er die Auswüchse einer schrägen Gesellschaft, die erschreckend der unseren ähnelt. Von der sommersprossig hyperintellektuellen Gastfamilie Friedemann bis hin zur bunt kreiselnden Videoprojektion hat er den Landesbühnen Sachsen mit „Tschick“ eine der buntesten Inszenierungen der vergangenen Jahre beschert – und wird damit gewiss nicht nur das junge Publikum begeistern.

„Tschick“ von Wolfgang Herrndorf an den Landesbühnen Sachsen, wieder am 25.1., 30.1., 2.2. im Stammhaus Radebeul sowie am 3.5. beim Sächsischen Theatertreffen im Kleinen Haus des Staatsschauspiels

Weitere Kritiken gibt es u.a. von Michael Ernst in den Dresdner Neuesten Nachrichten, Jens Daniel Schubert in der Sächsischen Zeitung, Robert Pfretzschner in der Freien Presse, Boris Gruhl auf Musik in Dresden

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.