Theater mit den Ohren sehen

„Der Gewitterbahnhofsstrand“ entführt am tjg auf eine akustische Entdeckungsreise

Wer würde nicht gern im Sommer das Zwitschern der Vögel oder das Rauschen des Meeres einfach einsammeln wie Muscheln am Strand? Der alte Maalra tut am Theater Junge Generation genau das. Er sammelt leidenschaftlich gern Geräusche: dunkles Gewittergrollen und dumpfe Bahnhofsdurchsagen, pfeifende Windböen oder klingelnde Straßenbahnen. Er ist der Protagonist im neuen Kinderstück „Der Gewitterbahnhofsstrand“ (Foto: PR/Robert Jentzsch) von Steffen Moratz und Lena Hach, das auf der Studiobühne in der Regie von Steffen Moratz Uraufführung feierte.

Hier waltet und schaltet dieser Maalra in einem Hör-Spiel-Generator-Raum, um die Vielzahl an Geräuschen, die uns täglich begegnen, aber oft nur allzu flüchtig vorbeirauschen, zu sortieren. Die Kulisse von Grit Dora von Zeschau ist ein in sich abgeschlossener Raum, der mit den grünen Wänden, einem Schreibtisch und unzähligen Bildschirmen wie eine technische Schaltzentrale wirkt. Die Zuschauer (ab 6 Jahre) dürfen sich darin während der Vorstellung frei bewegen, lümmeln zur Premiere jedoch lieber bequem auf dem Boden an eine Wand gelehnt.

Sammler trifft auf Sammler – Geräusche erzählen Geschichten

Zwei Türen öffnen sich und dann geht es los: Sammler trifft auf Sammler, der Junge Jan auf den alten Maalra. Der eine sammelt Geräusche, der andere verloren gegangene Dinge: Eieruhren, Regenschirme, Strandbälle. Der Junge kann erst gar nicht verstehen, was man an Klängen so Besonderes finden kann. „Da sind lauter Geschichten drin“, antwortet Maalra verheißungsvoll – fast wie in Jans Dingen also. Als plötzlich Suse hinzustößt, erschließt sich allmählich, was er meint. Suse stolpert in den Raum, weil sie etwas Wichtiges verloren hat. Sie weiß nur nicht mehr, was es war. Da wirft Maalra, der eigentlich Maximilian Alexander Ralf heißt, seine Geräuschmaschine an, um Suses Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.

Sinnliche Entdeckungsreise durch klingende Welten

Mit den Klängen erwacht die Phantasie – und das nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Es ist faszinierend, wie der bloße, ungefilterte Klang von Meeresrauschen oder die Durchsage der Dresdner Straßenbahn Assoziationen und Reaktionen zu wecken vermag. Ein wenig gleicht das Stück einer sinnlichen Entdeckungsreise, die von der Stadt zum Bahnhof, ans Meer und sogar bis auf den Mond führt. Geräusche fügen sich wie Traumfetzen aneinander – während die drei Protagonisten eine Geschichte dazu erdenken.

Humorvolle Art des Erzählens

Roland Flostedt (Maalra), Carlos Praetorius (Jan) und Adrienne Lejko (Suse) füllen diese Klangräume inmitten des Publikums phantasievoll mit Leben. Während Carlos Praetorius als Jan den neugierigen Jungen mimt, darf Adrienne Lejko als Suse auch zickig sein. Roland Flostedt hingegen wirkt beinahe wie ein großer Zauberer, der mit Hilfe seiner Geräuschesammlung ganze Welten entstehen lässt – und einmal sogar die Gedanken von Passanten hörbar macht. Das sorgt für humorvolles Schmunzeln beim großen und für Staunen beim kleinen Publikum. Dabei ist es gar nicht in erster Linie die Handlung, die Spannung erzeugt, sondern vielmehr die Art, wie sie erzählt wird: nämlich ganz bewusst für die Ohren.

Wunderbare Hommage ans Zuhören

Nun mag ja mancher behaupten, wir hätten heute verlernt, zuzuhören. „Der Gewitterbahnhofstrand“ erinnert uns auf wunderbare Weise daran, wie wertvoll diese Fähigkeit ist – und beweist zudem, dass Theater auch ganz prima als Hörstück funktionieren kann. Zu sehen gibt es dennoch genug: tanzende Regenschirme, vergnügte Kinder, eine Schifffahrt in der Pappkiste, die dazugehörigen Töne inklusive. Zum Schluss dokumentieren die beiden Kinder gar den Klang der Ruhe. Der Ruhe folgt Applaus für eine wunderbare Hommage an die Faszination des Hörens. Würde Maalra auch diesen Applaus nun sammeln und archivieren, er könnte damit gewiss später manch schöne Stunde im Theater assoziieren.

„Der Gewitterbahnhofsstrand“ am tjg Dresden, wieder am 4. und 5. November 2017

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