Freiheit am Schlossteich

Ralf Günthers Sommernovelle „Die Badende von Moritzburg“

Ralf Günther entführt die Dresdner in seinen Büchern seit Jahren in die Vergangenheit ihrer Stadt. Er erfindet seine Geschichten rund um wahre Begebenheiten und reale Personen, lässt diese in seinen Romanen phantasievoll zur Fiktion gedeihen. In seinem neuesten Werk wählt der gebürtige Kölner und Wahldresdner das Lahmann-Sanatorium auf dem Weißen Hirsch, die Künstlergruppe die Brücke und die Moritzburger Teichlandschaft als Eckpunkte einer kurzweiligen Sommernovelle.

Seine Erzählung „Die Badende von Moritzburg“ handelt vom persönlichen Frühlingserwachen einer jungen Frau sowie von Liebe und der Sehnsucht nach unbedingter Freiheit, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts als Antwort auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen zur Zeit der Industrialisierung erwachte. Die junge Clara Schimmelpfenninck leidet nicht nur an hysterischer Atemnot, sondern während ihres Aufenthaltes im Lahmann-Sanatorium auch an akuter Langeweile, als der Assistenzarzt Maximilian Brandstetter sie verbotener Weise zu einem Ausflug ins nahe Moritzburg einlädt.

Dem Sanatoriums-Trott entronnen, streift Clara wenig später im Sommerkleid durch die herrliche Schilflandschaft – und verbringt unversehens einen unvergesslichen Tag in der Künstlerkolonie „Die Brücke“. Ralf Günther hat ihre fiktive Begegnung mit dem Künstler Ernst Ludwig Kirchner ins Jahr 1910 verlegt. Er mag für seine Novelle von den Gemälden der Brücke-Künstler inspiriert worden sein. Doch niemand weiß, ob eine solche Begegnung je stattgefunden hat. Allein, sie könnte! Und Günther beschreibt sie so menschlich, ja natürlich, dass man sie (abzüglich Korsett und Co.) leicht auch in die heutige Zeit pflanzen könnte.

„Bald wurden die Halme lichter. Und als Clara die letzten zur Seite bog und auf eine freie Wasserfläche mit einer seichten Bucht gelangte, wollte sie dem ersten Menschen, dem sie begegnete, um den Hals fallen. Doch dann bemerkte sie etwas, das jeden Kontakt verbot. Das ihr den Impuls abverlangte, gleich wieder umzudrehen ins Labyrinth der Halme. Die Badenden, die eben die Köpfe zu ihr wendeten, als sie ihnen entgegentrat, waren vollkommen unbekleidet!“, Ralf Günther „Die Badende von Moritzburg“

Mit zahlreichen Andeutungen zu den Lehren Sigmund Freuds erinnert die Geschichte sogar ein wenig an Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ – nur eben im idyllischen Dresdner Umland als Projektionsort für verborgene Sehnsüchte. Locker und ungezwungen serviert Ralf Günther auf knapp 100 Seiten dabei ein sommerliches Lesevergnügen: spannend inszeniert, fesselnd aufgebaut und poetisch geschrieben. Ein Buch, das sich am Strand in einem Rutsch wegliest und nicht nur in der Sonne zum Träumen inspiriert. Was will man mehr?

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