Dresden, das Dorf an der Elbe

Essay über bürgerliche Cliquenbildung in der Großstadt

Eine Eigenschaft, die Dresden sehr lebenswert, oft aber auch schwierig macht, ist sein Hang zur Dörflichkeit. Neulich bin ich nach einer Woche Urlaub in Amerika hier am Flughafen gelandet und traf – noch vollkommen Jetlag vernebelt – nicht nur sofort einen stadtbekannten Musiker am Gate, sondern beim Herausgehen auch eine gute Bekannte, die ihrerseits auf einen Ankömmling wartete.Doch dafür muss man nicht erst abreisen, um wieder hier anzukommen. Letztlich ist es ganz egal, ob ich aufs Stadtfest oder einfach nur sonntags in den Großen Garten gehe – ich treffe dort garantiert jemanden, den ich kenne: Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen. Das zeichnet Dresden aus: Die Stadt ist ein Dorf, und das gilt nicht nur für den eigenen Kiez.

Das beste Beispiel dafür sind jedoch Theaterpremieren oder Konzerte. Früher, in der Studienzeit, konnte ich mich unerkannt auf meinen Platz schleichen und entspannt auf den Allerwertesten sinken. Heute schüttle ich zum Auftakt im Foyer zunächst die Hände zahlreicher Menschen, mit denen ich aus irgendeinem Grund mal zu tun hatte. Interviews, Kooperationen, flüchtige Smalltalks auf Empfängen. Es ist kein faules Vorurteil: Im Theater, Konzertsaal oder in der Oper trifft sich das Dresdner Bürgertum oder wer sich eben gern dafür hält. Wer bei Anlässen wie diesen mit wachen Augen durch die Reihen geht, stellt bald fest: Dresden wird dem Klischee von der angestaubten Bildungsbürgerstadt durchaus gerecht. Da ufert der Smalltalk flugs zum pfiffigen Fachgespräch aus: „Haben Sie das neue Stück am Schauspielhaus schon gesehen? Also das hat uns ja begeistert! Endlich mal nicht so ein moderner Kram mit lauter Nackten auf der Bühne – ja und die Hauptdarstellerin. Von der wird man ja noch hören!“

Diese enge Verbundenheit, die Nähe der Menschen zueinander hat durchaus etwas Heimeliges, wie in jedem Dorf halt. Sie birgt aber immer auch die Gefahr der Abgrenzung nach außen. Soll heißen: Neuankömmlinge werden kritisch beäugt. Unbekanntes löst Unsicherheit aus. Wer hier noch nicht zur Clique gehört, der braucht eine Zeit, um sich im Netz der guten Bürger und Gutbürger bekannt zu machen. Ist das aber erst mal passiert, gibt es kein Zurück mehr. Keine Chance, sich unerkannt im Theatersitz zurückzulehnen. Händeschütteln, Smalltalk, der neueste Tratsch – und das alles noch vor der Vorstellung. Ich mag Dresden, aber ich bin – und da bin ich ehrlich! – nicht ohne Abstriche für die Dorfgemeinschaft gemacht. Ein bisschen mehr großstädtische Anonymität könnte nach meinem Geschmack manchmal nicht schaden. Doch dann gibt es ab und an wieder diese Momente, in denen man genau zum richtigen Zeitpunkt genau den richtigen Menschen trifft. Unbezahlbar! Und dafür lieben wir Dresden doch (auch), oder?

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2 Kommentare

  1. Stimmt, ein gewisses Dorf-Gefühl kommt manchmal schon auf – vorausgesetzt man führt ein aktives, aber nicht allzu eklektisches Leben.

  2. Treffend formuliert! 🙂 Für mich als Nicht-Dresdner überwiegt aber eher das kritische Gefühl dabei, insbesondere da aus dieser Dresdener Dörflichkeit „Fremdenfeindlichkeit“ im Sinne des Wortes entsteht. Und das meine ich noch nicht mal nur auf ausländische Bürger bezogen.

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