Dresden, Du Wunderschöne …

Warum Selbstliebe keine Schande, Sondern eine Chance für Dresden ist

Ach, nö muss das sein? Brauchen wir wirklich noch einen von diesen selbstverliebten, lobhudelnden Texten über Dresden? Kennen wir die Stadt nicht schon gut genug? Dieses kleine, barocke 500.000 Seelen-Dorf an der Elbe. Drezdany im Tal der Ahnungslosen, wo die Menschen stur und konservativ, kultursüchtig und manchmal auch ein bisschen grummelig sind. Und das sind sie tatsächlich.

Ich lebe jetzt seit fast 32 Jahren in der Stadt – und ja, auch ich liebe sie. Dresden muss man einfach lieben. Natürlich bin ich der festen Überzeugung, dass es auf der ganzen großen Welt keine schönere, gemütlichere, herzlichere und erst recht keine lebenswertere Stadt gibt als meine Heimatstadt. Das hat auch Erich Kästner schon gewusst.

Ja, man kann sagen, ich kenne die Stärken von Dresden genau. Ich liebe Konzerte der Staatskapelle in der Semperoper und Abende im großen Schauspielhaus, den verführerischen Duft von gebrannten Mandeln und Lichterglanz auf dem Striezelmarkt. An sonnigen Sonntagen gehe ich für mein Leben gern an der Elbe spazieren oder über den nach historischem Vorbild wieder aufgebauten Neumarkt. Ich spiele Klavier und ich liebe das Schöne, Literatur, Theater, Musik und Kunst, womit man mich zweifelsohne zu jenem in der Bequemlichkeit des Lesesessels eingekuscheltem Bürgertum zählen kann, das manchem hier in letzter Zeit zu selten auf die Straße geht. Auch ich gehöre zu denen, die am 13. Februar jedes Jahr an der Frauenkirche stehen und gerührt dem Glockenläuten zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg lauschen. Ich habe die Geschichten vom Krieg schon als Kind von meinen Großeltern gehört und sie über den Zirkus Sarasani und das Alte Dresden ausgefragt. Ich habe Uwe Tellkamps „Der Turm“ gelesen – damals in Norwegen und dabei sofort Heimweh bekommen.

Ich gehöre hierher, aber ich weiß auch um die Schwächen von Dresden. Das ist ein bisschen wie in einer Beziehung: Es gibt Momente, da kann einem diese Stadt mit all ihren Sturköpfen nämlich gewaltig auf den Zeiger gehen. Wenn nach einer modernen Inszenierung in der Oper kaum jemand klatscht zum Beispiel – oder wenn man auf der Prager Straße mal wieder vergeblich nach etwas Individualität sucht. Ich mag es nicht, dass Dresden sich immer im Barockglanz spiegelt, und allen Fortschritt dabei gern vergisst, würde mir wünschen, dass junge Künstler hier mehr Beachtung für ihre Arbeit finden. Gleichberechtigt, neben den Alten Meistern. Das kann man von einer Kulturstadt schon verlangen. Denn Kunst und Kultur sind keine Einbahnstraße in die Vergangenheit. Oft scheint die Stadt unbeweglich, wenig dynamisch, erstarrt und blind. Das stimmt!

Ich weiß das alles. Alle wissen es und es gibt wohl kaum einen Dresdner und schon gar keinen Neudresdner, der nicht schon mal darüber gestöhnt hätte. Auch das ist normal in einer Beziehung. Stärken und Schwächen. Manchmal können die Schwächen gleichzeitig die größten Stärken sein. Doch gibt es nie, wirklich nirgends, Stärken frei Haus ganz ohne Schwächen. Das gibt es einfach nicht.

Und deswegen treibt es mich fast in den Wahnsinn, wenn mir Menschen begegnen, die mir mit gerümpfter Nase sagen: „Dresden ist schön, aber diese Selbstverliebtheit ist unerträglich und lästig.“ Ich atme dann immer ganz tief ein, versuche tapfer zu sein und antworte erst mal gar nichts. Innerlich wurmt es mich. Nicht nur, weil ich Dresdner bin, sondern weil dieser Ausspruch von mindestens ebenso viel Starrsinnigkeit zeugt, wie er dem Dresdner zuschreiben will.

Denn „diese Selbstverliebtheit“, das ist nunmal Dresden – und Dresden wäre nicht Dresden ohne „diese Selbstverliebtheit“. Nichts wäre so, wie es ist, wenn es die Liebe der Dresdner zu ihrer Stadt nicht gäbe. Dann wäre Dresden eben anders. Eine andere Stadt, aber ganz sicher nicht mehr jenes Dresden, in dem wir uns alle so wohlfühlen.

Und überhaupt: Sind solche Vorwürfe nicht auch irgendwie anstandslos? Gehen wir Dresdner etwa nach Berlin und sagen den Einheimischen dort unverblümt: „Also die Stadt ist ja schön dynamisch und hip und so, aber dieses fürchterliche Chaos …“? Sind wir jemals auf die Idee gekommen? Ich denke nicht. Es ist doch viel eher so, dass alles ein Ganzes ist und irgendwie zusammengehört. Mit Stärken und Schwächen. Und jeder hat andere. Eben wie in einer Beziehung.

Ich finde, die größte Stärke der Dresdner liegt gerade in der bedingungslosen Liebe zu ihrer Stadt. Die äußert sich in der Treue des Publikums zu den Kulturinstitutionen, in der endlosen Leidenschaft der Dynamo-Fans für ihren Verein, zur Adventsvesper vor der Dresdner Frauenkirche oder wenn Dresdner in der Bahn fast in Streit darüber geraten, welchen Weg sie dem Touristen nun besser empfehlen sollen. Sie treibt ihre Blüten aber eben auch in endlosen, oft jahrelangen Diskussionen des Stadtrates über den Bau einer Brücke oder ein neues Haus in der Altstadt. Und dennoch: Diese Liebe kann nichts Schlechtes sein. Bedingungslose Liebe heißt ja nicht, Schwächen zu übersehen, sondern vielmehr sie zu akzeptieren, mit Ihnen zu leben, sie in Stärken zu verwandeln. Wie in einer guten Beziehung eben. Das kann vielleicht wirklich keine Stadt besser als Dresden – und deshalb, ja, musste dieser Text auch sein.

Du magst vielleicht auch

2 Kommentare

  1. „Ich finde, die größte Stärke der Dresdner liegt gerade in der bedingungslosen Liebe zu ihrer Stadt.“

    Puh, dann muss ich ja ein schlechter Dresdner gewesen sein. Jedenfalls habe ich Dresden nie so bedingungslos geliebt, dass ich es nicht verlassen hätte, als ich es vor Dörflichkeit nicht mehr aushielt.
    Was genau ist „Dresden“ überhaupt? – Die Architektur? – Wenn ja, welche? Alle Häuser, oder nur bestimmte? Oder die Landschaft? Die Menschen? Ja, die Menschen. Aber ich mit meiner mangelnden Dresden-Liebe war ja offenbar keiner der Dresdner, die Dresden ausmacht. War ich immer nur ein unechter Dresdner? Sieht ganz so aus. – Ich find’s mittlerweile nicht mehr schade.

  2. Ich fands auch echt nett in Dresden, wirklich. So als Touri halt. 😉
    Und wenn du mehr „modern“ möchtest – also auch in den bildenden Künsten – dann schnapp dir ein Paddelboot und lass dich nach Hamburg treiben. Liegt am selben Fluß, ist auch schön und interessant und alt und neu und schräg und liebenswert und hanseatisch-trocken und distanziert und herzlich und ein Volk für sich und weltoffen und… hach jaaa….
    Nein, ich lebe nicht in Hamburg. Aber ich habe einen Zwang entwickelt, häufiger mal unbedingt hinfahren zu müssen. Dauert von hier aus ca. 2,5 Stunden – geht. Ich versteh den Dialekt dort auch besser. 😉
    Weiterer Nachteil von Dresden: dauert länger, um hinzukommen. *grins* Jedenfalls von hier.

    Nee, echt – deine Stadt ist wirklich schön!

    Liebe Grüße vom
    LandEi mit Hang zu Meer 😉
    LandEi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.