Gefangen in der Illusion

André Previns Oper „A Streetcar Named Desire“ an den Landesbühnen Sachsen

Pelze und Perlenketten zeugen von prächtigen Jahren. Doch sie können nicht verhüllen, dass die elegante Lady Blanche DeBois am existenziellen Abgrund steht. Verzweifelt kriecht sie in der schäbigen Zweizimmerwohnung ihrer Schwester Stella unter, argwöhnisch beobachtet von deren Mann Stanley Kowalski, der bald die Ordnung seiner kleinen Welt gestört sieht. Tennessee Williams düstere Milieustudie „Endstation Sehnsucht“ ist ursprünglich als amerikanischer Nord-Südstaatenkonflikt angelegt und gehört längst zum Repertoirestoff deutscher Theater. Weniger bekannt ist dagegen die Oper „A Streetcar Named Desire – Endstation Sehnsucht“ (1998) des deutsch-amerikanischen Komponisten André Previn. Sebastian Ritschel hat das Stück an den Landesbühnen Sachsen (Fotos: PR/Hagen König) neu inszeniert und bringt damit vor den Toren von Dresden eine kleine Rarität auf die Opernbühne.

Das Libretto von Philip Littel folgt im Wesentlichen dem Text von Tennessee Williams, bleibt auch als Oper eine feingliedrige psychologische Studie, die Figurenverhältnisse diffizil auslotet. Meist werden sie im Dialog offengelegt: Blanche und Stella, Stella und Stanley, Stanley und Blanche treffen da wie im Reigen aufeinander. So lässt sich schwer Abwechslung auf die Bühne bringen – vielleicht eine Ursache dafür, dass das Stück so selten zu sehen ist. Dennoch muss man den Landesbühnen dankbar sein, dass sie das Risiko wagen. Denn so wie es hier gespielt wird, ist das Stück eine lohnende Entdeckung.

Inszenierung fängt Düsternis des Milieus gut ein

Sebastian Ritschel hat den Seelenkrimi in eine Inszenierung gepackt, die Verwirrung und Düsternis des Milieus gut einfängt. Er überfrachtet nichts, lässt die Dialoge oft pur, rein psychologisch wirken, schöpft auf der anderen Seite aber alle Mittel der kleinen Bühne aus und überspielt Längen gekonnt mit bildlichen Raffinessen. Die Drehkonstruktion mit drei fahlen Zimmerchen (Bad, Wohn- und Schlafzimmer) der Kowalskis bringt stets im richtigen Moment Dynamik in die Szene. Blanche träumt und phantasiert dazu anschaulich auf der oberen, hinterleuchteten Ebene der Bühne.

Einspringerin Kerrie Sheppard-Klein brilliert als Blanche

Allerdings müsste die Oper, für die André Previn (*1929) seine Partitur mit bunten Anleihen aus Jazz, Blues und Filmmusik schmückte, wohl eher „Blanche“, statt „A Streetcar Named Desire“ heißen. Denn der Komponist malt die Partie der tragischen Diva im Vergleich besonders facettenreich und tragisch aus. In Breite und Intensität wird dies zur Mammutaufgabe für jede Sängerin. Ein Glück, dass zur Premiere in Radebeul noch kurzfristig die Sopranistin Kerrie Sheppard-Klein für die erkrankte Stephanie Krone einspringen konnte. Sheppard-Klein sang die Partie an anderer Stelle bereits im Frühjahr – und begeistert vom ersten Ton an mit stimmlicher Präsenz und Ausdrucksstärke. Sie schont sich nicht, lässt Dramatik, auch ein wenig Frust und Angst in der Stimme flammen und bringt die Träumerin Blanche, die sich stets in Trugbilder und Notlügen flüchtet, bis zu ihrem traurigen Ende mitreißend auf die Bühne.

Die Musik treibt die Handlung voran, untermalt Szenen wie im Film. Previn versteht sich bestens auf die musikalische Illustration von Momenten, sein Klanguniversum schöpft jeweils aus der Situation. Die Elband Philharmonie Sachsen beschwört unter der Leitung von Jan Michael Horstmann besonders in den ruhigen Passagen schnell eine flirrend-spannungsvolle Stimmung herauf. Wie bei guter Filmmusik trägt das Orchester fast unbemerkt – doch unverzichtbar – bald immer mehr zur ergreifenden Wirkung bei.

"A Streetcar Named Desire" an den Landesbühnen Sachsen

Dies gelingt auch deswegen so gut, weil das Sängerensemble zur Premiere nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch brilliert. Mit demonstrativen Gesten ist es in diesem Stück nicht getan. Der Bariton Paul Gukhoe Song poltert, donnert, ja vergewaltigt als Stanley Kowalski im unerbittlichen Duktus. Miriam Sabba obliegen als Stella eher die zaghaften Töne. Trotz kurzer Probenzeit bilden Sabba und Song mit Kerrie Sheppard-Klein ein passables Dreiergespann, das fast die ganze erste Hälfte der Oper im dialogischen Wechsel bestreitet. Schade, dass der Tenor Christian Salvatore Malchow in der Partie des Harold Mitchell erst im zweiten Akt als Verehrer von Blanche auftaucht. Er gehört ohne Zweifel zu den prägenden Stimmen am Premierenabend.

Tragisches Ende im Wahnsinn – und der Zauber eines Abends

Natürlich macht Stanley der zarten Liebschaft zwischen Blanche und Mitchell schon bald den Garaus. Als er seinem Freund in die Geheimnisse von Blanche einweiht, ist dessen Interesse zunächst verpufft – und der letzte Stein für das tragische Ende ins Rollen gebracht. Previn hat den Wahnsinn von Blanche im dritten Akt bildhaft in Klang gegossen, mit nervösen Flötenmotiven und einem betont sachtem (statt wütendem) Kreischen garniert. Bis zum letzten Ton nimmt einen diese tragische Story gefangen – oder um es mit den Worten von Blanche zu auszudrücken: „Wer möchte die Realität? Ich möchte den Zauber!“ Nun wünscht man der Inszenierung, dass sich möglichst viele Besucher trauen, sich diesem seltenen Zauber auch hinzugeben.

„A Streetcar Named Desire“ an den Landesbühnen Sachsen, wieder am: 20. Oktober, 14. November, 19. November, Stammhaus Radebeul

Die Vorstellung am 16. Oktober muss wegen Erkrankung im Ensemble leider ausfallen!

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Ein Kommentar

  1. Heute habe ich spontan (bin z.Zt. Kongressbesucher in Radebeul) die Vorstellung
    A SREETCAR NAMED DÉSIRE besucht. Ich war begeistert. Ein Abend den ich nie vergessen werde. Hochachtung an die Landesbühnen.
    Enttäuschend dass noch so viele Plätze „frei“ blieben.
    Herzliche Grüße von Guenter Krumm
    Köln, Liège (B) und Montpellier (F)

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