Verträumte Virtuosität unter freiem Himmel

„Klassik picknickt“ mit der Staatskapelle vor Der Gläsernen Manufaktur

Die Wettergötter scheinen große Musikfreunde zu sein. Denn pünktlich zum Start des diesjährigen „Klassik picknickt“, der Sächsischen Staatskapelle Dresden vor der Gläsernen Manufaktur von VW am Sonnabend (18.6.) hatten sich die dicken Wolken verzogen. Die Sonne schien freundlich auf das Areal, hatte Wiesen und Jacken getrocknet – und so konnten die rund 3500 Picknickgäste getrost ihre Körbe auspacken und genießen.

Ein Genuss war dieses auserwählte Programm mit dem erst 34-jährigen Krzysztof Urbanski am Orchesterpult und dem begnadeten Geiger Nemanja Radulovic als Solist allemal. Kein Wunder, dass die 5€-Karten für den Abend unter freiem Himmel wie in den vergangenen Jahren schon flugs ausverkauft waren. Erstmals hatte die Manufaktur für jene, die nicht zu den glücklichen Schnellen zählten, jedoch in diesem Jahr ein kleines Trostpflaster organisiert: Mit Unterstützung von Visit Dresden und der Standortkampagne „So geht Sächsisch“ konnte das Konzert via youtube am Abend live übertragen – und somit nun auch direkt im heimischen Wohnzimmer oder auf der eigenen Terrasse mit Wlan-Anschluss empfangen werden.

Klassik picknickt in DresdenDer etwas traurige Ausblick auf einen derzeit nur dünn mit teuren Karrossen bestückten Fahrzeugturm am Straßburger Platz rückte angesichts der wunderbaren Musik schnell in den Hintergrund. Krzysztof Urbanski bewies bei seinem Debüt mit der Staatskapelle Dresden großes Gespür für feine Zwischentöne, die auch in der Open-Air-Akustik klar durchschimmerten. Mit dem von der Landschaft der Karpaten erzählenden ersten Stück, Wojciech Kilars „Orawa“ für Streichorchester, erklang zum Auftakt ein vibrierendes Werk, das mit seinen intensiven Violinparts schon wunderbar auf den Solisten des Abends einstimmte. Es baut sich auf aus vielen Wiederholungen, nicht ganz so minimalistisch wie bei Michael Nyman, aber dennoch einem ähnlichen Muster folgend, nur raffinierter irgendwie und mit russischem Temperament. Dies ließ die Staatskapelle mitreißend durch den Park klingen, anfangs noch filigran und sensibel flirrend wie ein Schmetterling in der Sommerluft, dann immer energischer und schließlich richtig temperamentvoll,  dabei aber immer klar im Klang.

Ein spannungsvolles Vorspiel, das kurz und intensiv den Höhepunkt des Abends einleitete: Das sehr lyrische Konzert für Violine und Orchester von Samuel Barbar, mit dem der Violinist Nemanja Radulovic ungemein virtuos seinen ersten Auftritt als Solist in Dresden feierte. Seine lyrisch beseelte Interpretation ist getragen von einem leicht, ja beinahe unbeschwert erscheinenden Umgang mit dem Instrument. So verbindet er interpretatorische Seele mit spielerischer Perfektion und zog das Publikum im Park vom ersten Moment an in seinen Bann. Radulovic überzeugte mit seinem Gespür für Klangfarben und Stile, die er klug und doch lebendig ineinander überfließen ließ. So überraschte er im letzten Satz gar mit Popstarattitüden und legte nun auch temperamentvoll los – bewies somit einmal mehr die facettenreiche Beherrschung seines Instruments. Das Stück war viel zu schnell zu Ende. Großer, verdienter Applaus.

Klassik picknickt in DresdenAntonin Dvoraks 9. Sinfonie sollte nun den Schlusspunkt für diesen lauschigen Abend setzen, dessen Programm in diesem Jahr ganz besonders stimmig und auch passend für die lockere Atmosphäre unter freiem Himmel war. Für die Staatskapelle und Krzysztof Urbanski freilich keine leichte Aufgabe, das Publikum nach diesem virtuosen Donnerschlag wieder einzufangen. Doch schließlich gelang auch das – Sekt und Wein aus den Körben taten sicher ihr Ürbiges dazu, um bald eine herrlich verträumte Abendstimmung im Park heraufzubeschwören. Die Manufakturkulisse entfaltete zum Sonnenuntergang, als sich zartrosa Schäfchenwolken in der blanken Glasfassade spiegelten, indes ihren ganz eigenen Zauber. Und die Staatskapelle Dresden schlug wunderbar sensibel mit Dvorák nun den Bogen zur „Neuen Welt“, in der auch amerikanische Spirituals und die Musik der Indianer anklangen.

So hätte man nach dem Schlussapplaus am liebsten noch sitzen bleiben mögen auf der Manufakturwiese – und träumen im Vollmondlicht bei sternenklarer Nacht. Eine Stadt wie Dresden könnte gern noch mehr solcher genussreicher Open-Airs vertragen. Und tatsächlich steht ja die nächste Gelegenheit, einen lauen Sommerabend mit der Staatskapelle zu verbringen, schon unmittelbar bevor: Am 23. Juni lockt Schostakowitschs „Sinfonie der Menschlichkeit“   unter der Leitung von Franz Welser-Möst, 20.30 Uhr ins Filmnächteareal am Königsufer.

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