Cellonacht im Wagner-Format

retroSpektive zum Tschaikowskywettbewerb 2015 bei den Dresdner Musikfestspielen

Es gehört zu den erklärten Zielen der Dresdner Musikfestspiele und deren Intendant Jan Vogler, neben großen Orchestern und weltweit etablierten Ensembles auch viel versprechenden jungen Künstlern ein Podium in der Stadt zu bieten. In diesem Rahmen findet man dieses Jahr etwa Projekte wie die „Bohème 2020“ oder die Gastspiele mit Studenten und Absolventen des berühmten Curtis Instituts in Philadelphia im Programm des Festivals. Einen ganz besonderen Abend, den man in dieser Form nur selten erleben kann, zauberten zudem drei junge Cellisten, alle samt Preisträger des Tschaikowsky-Wettberbs 2015, am 26. Mai auf Schloss Wackerbarth.

Mit knapp 4 Konzertstunden und zwei Pausen mutete diese „Lange Nacht des Cellos“ auf den ersten Blick sicher als ein Abend speziell für eingefleischte Cellofans an. Doch traf man in der Abfüllhalle des Staatsweinguts auf ein äußerst verständiges Publikum, auf Hobbymusiker ebenso wie natürlich auf junge Cellisten des Landesgymnasiums und der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Sie alle lauschten mit Begeisterung den jeweils drei kleinen Solokonzerten von Alexander Ramm, Andrei Iontä und Alexander Buzlov, die auf ihren Instrumenten ganz unterschiedliche Spielcharaktere offenbahrten und sich – teils mit selten gehörten Werken – in dieser inspirierenden Nacht quer durch die Geschichte der Celloliteratur spielten.

Zunächst tastete sich Alexander Ramm ganz langsam mit César Francks Sontate für Violine und Klavier vor – ein lyrisch beseeltes Stück, bei dem der junge Russe (1988 in Wladiwostok geboren) den ersten Satz sehnsuchtsvoll verträumt, ja fast zart ausgestaltete, während Anna Odintsova am Klavier deutlich temperamentvollere Töne anschlug. Auch im lebhafteren zweiten Satz ruhte Ramm sichtlich in sich, entwickelte aus dieser Ruhe schließlich einen leidenschaftlichen, sich aufbäumenden Gesang seines Instruments, so als würde er die Kraft seiner Interpretation schon ganz tief in sich spüren und allmählich hervorzaubern. Im Allegretto des vierten Satzes schließlich entlockte er seinem Cello eher verspielten, denn verträumten Duktus und trotzte dem Stück fast ungezwungene Leichtigkeit ab. Mit Gaspar Cassadó I Moreus Suite für Violincello, einem im Vergleich zum Franck eher kantigen, aber elektrisierenden Stück, bewies Ramm anschließend nicht nur technisches Geschick, sondern auch stilistischen Facettenreichtum. Zum Abschluss konnte er mit Samuel Barbers Sonate für Violoncello und Klavier op. 6 schließlich virtuose Kantigkeit mit schwärmerischer Lyrik verbinden und ließ das Farbspektrum seines Cellos dabei kräftig schillern.

Ganz anders der Vortrag von Andrei Ionitä, der mit Bach und Kodály zwei pure Cellostücke ganz ohne Klavierbegleitung präsentierte. Er nahm die schnellen Sätze der 6. Bachsuite mit fast gewöhnungsbedürftiger Rasanz, verlieh etwa dem Prelude mit seiner lebhaften Interpreation ungeheure Leichtigkeit und interpretierte auch die Gigue am Schluss mit sprühender Freude. Selten hat man diese Bachsätze wohl so spritzig erlebt. Die Allemande und auch die Sarabande wirkten dagegen dann umso getragener und ernsthafter. So ließ Ionitä den Kontrast zwischen vehementer Rasanz in den schnellen Sätzen und tiefer Getragenheit in den langsamen bewusst aufeinander prallen. Insbesondere in der Gavotte I schuf er dabei intensive musikalische Momente, die sich – besser hätte es nicht geplant sein können – im Sonnenuntergang draußen widerzuspiegeln schienen.

Mit Zoltán Kodalys Sonate op. 8 für Violoncello stand anschließend ein deutlich jüngeres Stück auf seinem Programm, das jedoch durchaus in Bachs Tradition zu verstehen ist. Kodaly fordert enormes technisches Geschick des Cellisten – eine Aufgabe, der Ionitä mit Bravour gerecht wurde. Dennoch kitzelte er Tiefe und Wärme aus dem Stück, verlieh ihm selbst in lyrischen Passagen die nötige Ernsthaftigkeit und Bodenständigkeit. Technisch brillant zauberte er immer neue Klangfarben auf seinem Instrument – präszise und zielsicher in der Interpretation. Als Zugabe gab es dann noch einmal Bach, dessen erste Cellosonate er mit ruhiger Selbstverständlichkeit, fast aus dem Handgelenk spielte – und die er ebenso wie die sechste Sonate zu Beginn mit fast tänzerischer Leichtigkeit würzte.

Wer dachte, mit diesen beiden jungen Cellisten sei der Abend schon hinreichend ausgefüllt, der wurde jedoch bei der  folgenden Performance von Alexander Buzlov eines Besseren belehrt  – und jenen, die das Konzert nach immerhin gut zwei Stunden in der zweiten Pause verließen, muss an dieser Stelle leider gesagt werden, dass sie den Höhepunkt des Abends verpasst haben. Eventuell aufkommende Müdigkeit war schnell vertrieben, denn von dem Moment an, wo Buzlov seinen Bogen ansetzte, fesselte er das Publikum auch schon mit einem wunderbar warmen Celloton, mit dem er Franz Schuberts Sonate a-Moll anstimmte. Von allen drei Cellisten kann Buzlovs virtuose Technik mit starkem musikalischen Ausdruck zweifelsohne am besten vereinen. Schuberts Werk interpretierte er wunderbar fließend, in sich stimmig – changierte gekonnt zwischen melancholischer Tiefe und tänzerisch-ironischen Momenten. Sein Spiel ist beseelt, selbst in den ruhigen Partien behauptete das Cello in aller Zartheit vor dem Klavier (Sviatoslav Lips) seine Dominanz – und Buzlov bannte den Zuhörer bis zu letzten Minute.

Der untrügliche Eindruck, dass dieser Junge der Überflieger des Abends ist, bestätigte sich auch im zweiten Stück, Efrem Podgaits Sonate für Violoncello und Klavier. Es ist schier unglaublich, wie Buzlov das Andante von der ersten Note an regelrecht aufblühen ließ, wie er Übergänge sachte ausmalte, den Zuhörer mitnahm, ja, gefangen nahm in der warmen, etwas düsteren Melodie, die er wenig später wie in einem tiefen Seufzen verebben ließ, um jedoch sofort weiterzugehen, fast traumwandlerisch. Buzlov brachte dabei dennoch Leben ins Spiel, zündete ein emotionales Feuerwerk. Er formt nicht nur schattierungsreiche Klangfarben, sondern weiß sie kunstvoll zu arrangieren – ganz aus dem Herzen und dennoch mit Köpfchen macht er schlicht Musik!

Das zeigte sich auch beim letzten Stück dieses Abends, Benjamin Brittens Sonate C-Dur, in der sich Violoncello und Klavier bald einen musikalischen Kampf lieferten. Buzlov interpretierte auch dieses doch deutlich diffizilere Werk mit lebendiger Tiefe und Verstand, erweckte fast den Eindruck, als kommuniziere er ernsthaft mit seinem Instrument, als horche er immer wieder in sein Spiel hinein, um den Dialog mit Cello und Klavier, mit Britten und dem Publikum in die richtige Richtung zu lenken. So ging am späten Abend in der Sektabfüllhalle auf Schloss Wackerbarth dann doch noch einmal, zumindest klanglich, die Sonne auf. Und jene, die geblieben waren – es war der Großteil der Besucher – bereuten es gewiss nicht, die in dieser Form seltene Präsentation dreier junger Spitzencellisten erlebt zu haben.

*Die Autorin dieses Beitrags ist Pressereferentin der Dresdner Musikfestspiele, der Artikel entstand dennoch (so wie alle auf dieser Seite) unentgeltlich und unabhängig von dieser Aufgabe.

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