Stadtspaziergang mit Tschaikovsky

Hörtipp des Monats: Jan Vogler „Tschaikovsky“

Ein Spaziergang am Flussufer in St. Petersburg, die Palaisbauten des Rokoko stehen wie Perlen aneinandergereiht und ziehen mit ihrer Pracht seit Jahrhunderten die Blicke der Menschen auf sich. Vielleicht ging auch Peter Tschaikovsky einst versonnen hier vorbei, möglicherweise inspirierte ihn die zierdevolle Schönheit der Architektur gar zur Komposition seiner berühmten Rokoko-Variationen? Der Cellist Jan Vogler ließ sich von diesem Gedanken, der ihm vor ein paar Jahren bei einem Spaziergang durch St. Petersburg kam, zu seiner neuen CD „Tschaikovsky“ inspirieren, dem vielleicht poetischsten seiner Alben.

Vogler entdeckt den großen, russischen Komponisten darauf ein Stück weit neu, ohne musikalische Traditionen gänzlich zu verhehlen. Er lässt Tschaikovskys Musik weniger im typisch romantischen Licht schimmern, spürt auf seinem Stradivari-Cello vielmehr dem Klassiker Tschaikovsky nach. Zusammen mit dem HR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada hat er die Rokoko-Variationen in einer Kombination aus der Urfassung und der Version des Cellisten Wilhelm Fitzenhagen eingespielt – und stellt ihnen mit „Serenade Melancholique“ und „Souvenir d’un lieu cher“ zwei ursprünglich für Violine geschriebene, auf diesem Album erstmals für Cello und Orchester arrangierte, Stücke zur Seite.

Beide Violinwerke sind für das Cello lediglich eine Oktave tiefer gesetzt. Sie entfalten dadurch einen ganz besonders warmen Klang. Das melancholisch sinnende Cello zügelt die lebhaften Teile der Kompositionen ein wenig, was ihnen noch mehr Eindringlichkeit als auf der Violine verleiht, sie sogar etwas bodenständiger erscheinen lässt als im Original. Vogler spielt virtuos, ohne dass es überladen oder bloß dekorativ wirkt. Er interpretiert lebendig und mit einem feinen Gespür für Stimmungen, so als erzählte er mit dem Cello eine Geschichte. Der Ton ist bei aller Melancholie dabei nie von übertriebener Innerlichkeit und schnörkeliger Selbstvergessenheit geprägt, sondern erscheint eher wie ein Gedicht, das zurückgenommen und leise ausgesprochen seine größte Wirkung entfaltet.

Die Rokoko-Variationen fügen sich prima in diesen Rahmen. Jan Vogler hat sich hier die einst von Tschaikovsky abgesegnete Version von Wilhelm Fitzenhagen zur Grundlage seiner Interpretation erkoren, die von diesem gestrichene letzte Variation fügt er jedoch als Nr. IIIb an sechster Stelle wieder ein. Diese Reihenfolge schmiegt sich flüssig und ohne Brüche ineinander. Ja, es ist eine Freude, die Variationen in diesem Arrangement neu zu entdecken. Vogler lässt auch hier keinen Raum für verkitschte Lesarten. Er betont die lebendige Verspieltheit der Musik, ohne dass es überladen oder verschnörkelt wirkt, lässt sein Cello erst versonnen schwelgen, um es in den lebhaften, tänzerischen Teilen wieder keck singen zu lassen. Tatsächlich klingt das ein bisschen so, als würde er mit Tschaikovskys Musik die Architektur des Rokoko am Petersburger Flussufer beschreiben – voller Poesie und doch mit reflektierendem zeitlichen Abstand.

Zum Abschluss setzt Tschaikovskys Ensemblestück „Souvenir de Florance“ noch einen lebhaften Kontrapunkt. Eingespielt mit befreundeten Musikern aus dem Moritzburg Festival Ensemble, schimmert dieses Stück voller Eleganz, worin nun jedoch nicht mehr die Bauten St. Petersburgs, sondern das sonnige Temperament der Toskana aufblitzen. Ebenfalls von jenem warmen Klang getragen, der ganz wesentlich den Charakter dieser Aufnahme bestimmt, bildet das Streichquartett somit einen erquicklichen Abschluss für die (Neu-) Entdeckung von Tschaikovskys klassizistischer Seite.


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