Erfrorene Herzen

Humperdincks „Königskinder“ an der Semperoper

Die Adventszeit ist gemeinhin auch die Zeit der Märchen. Und keine Oper ist mit diesen letzten, oft glänzenden Tagen im Jahr wohl enger verbunden als Engelbert Humperdicks (1854–1921) „Hänsel und Gretel“ (1893). Selten gespielt wird dagegen seine zweite Oper „Königskinder“ (uraufgeführt 1910 in New York) mit einem Libretto von Elsa Bernstein. Es ist eine Geschichte von Verblendung und Kälte einer Gesellschaft, die das wahre Gute nicht zu erkennen vermag. Nach der umjubelten Premiere und Wiederentdeckung des Stücks (Fotos: PR/Matthias Creutziger) an der Semperoper Dresden am Freitag (19.12.) muss man sich wundern, warum es so selten zu sehen ist.

Denn dieses lyrische Antimärchen mit der wunderschönen Musik und dem wahnsinnig traurigem Ende passt in unsere Zeiten, wie vielleicht kaum eine andere Oper. Regisseurin Jetske Mijnssen hat die Handlung behutsam in einen eigentlich zeitlosen, aber deutlich an die 30er Jahre angelehnten, Raum übertragen. Ihr Märchen spielt nicht im Wald, sondern in einem riesigen, sehr ästhetisch geratenen Entree eines gutbürgerlichen Hauses mit einer breiten Treppe, großen Fenstern und hellen Lampen an der Wand (Bühne und Kostüm: Christian Schmidt).

Märchenelemente modern übersetzt

In diesen Raum ragt ein riesiger Lindenzweig, auf der großen Treppe sitzen kleine Gänse und lesen eine Zeitung. Daneben liegt die Gänsemagd (Barbara Senator) auf einer Bank und schläft. Es ist hier keine Hexe, sondern die Großmutter (Tichina Vaughn) oder moderne Amme, gewiss jedoch eine recht einflussreiche Frau, die das junge Mädchen im Haus gefangen hält, ihm Ängste einflüstert, damit es nicht hinaus in die Welt zieht. Befreit wird die junge Magd dann aber doch – gleich im ersten Akt von einem Spielmann (Christoph Pohl), der mit Besenhändlern und Holzhackern aus Hellastadt zur Hexe kommt, um von ihr zu hören, wer der neue König wird. Dieser war zuvor schon da und hat sich in die Magd verliebt, allein gelang es ihm nicht, sie zu befreien.

Musikalisch von Wagner inspiriert

Erscheint der erste Akt noch wie eine Vorerzählung, spitzt sich der zweite dramatisch zu. Mit einem großen Empfang erwartet die gute Gesellschaft das Königspaar. Doch als Königssohn und Magd noch in Lumpen gekleidet vor den Toren der Stadt stehen, werden sie brutal vom Volk vertrieben. In dieser Stadt ist niemand fähig, das wahre Menschliche in den beiden zu erkennen – außer die Kinder. Das Unerhörte klingt hier auch in der Musik durch. Von Wagner inspiriert, setzt Humperdinck dem ersten, eher ruhigen Akt im zweiten einen bis ins Krachende gesteigerten Höhepunkt entgegen. „Prügeln“, schallt es am Ende dieses Aufzugs laut durch den Saal. Eine packende Szene, auf die Mihkel Kütson am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden zunächst behutsam hinarbeitet, um sie dann umso eindrücklicher hereindonnern zu lassen.

Trauriges Ende im Schneesturm

Erst im dritten Akt wird das Lyrische in dieser Musik hörbar. Es schneit, der Winter hat Einzug gehalten, Kälte und Frost bestimmen die Zeit und die Linde ragt nun dörr ins zerschlagene Fenster hinein. Ansonsten ist das Haus leer. Nur die beiden Königskinder irren hungernd und frierend durch den Wald. Spielmann und Kinder machen sich von Hellastadt auf, das verstoßende Königspärchen zu suchen – doch es ist zu spät. Die Königskinder liegen erfroren und verhungert im Schnee, gestorben in Liebe zueinander, verstoßen von der ignoranten Gesellschaft, die an ihrer Selbstsucht zu Grunde ging.

Gesanglich ist Christoph Pohl als Spielmann einer der Großen dieses Premierenabends. Egal ob zu Beginn als lustiger Gaukler oder als besorgter Helfer am Ende, sein sonorer Bariton findet immer das richtige Timbre. Anstelle des Töchterchens des Besenbinders hat ihm Jetske Mijnssen einen jungen Buben (Georg Bartsch) als Gesellen an die Seite gestellt, der wie ein kleines Spiegelbild erscheint und jene Ursprünglichkeit und Offenheit verkörpert, die unbefangene Kinderherzen meist auszeichnet.

Musik als Erzählrahmen

Barbara Senator und Tomislav Mužek geben ein entzückendes Königspaar, das in den letzten Szenen außerordentlich rührt. Senator hat die Magd von einem jungen Backfisch nun zu einer Liebenden hin entwickelt und lässt die ganze Tragik und Verzweiflung der Figur in der Stimme aufflackern, als sie taumelnd die Treppe hinaufgeht. Mužeks warmer Tenor wirkt daneben wie ein beruhigender Fels in der Brandung. Den Rest erzählt die Musik, beißend wie der Frost im Wald flirren Violinen auf. Mihkel Kütson findet zu jeder Zeit das richtige Maß, um mit der Staatskapelle zu erzählen, was Worte kaum sagen können. Hält er das Orchester im ersten Akt noch sachte zurück und überlässt den Sängern das Terrain, so lässt er im zweiten das Drama musikalisch schmettern, um im dritten Aufzug dann die nötige Ausgewogenheit aus lyrischen Musikparts und Gesang herzustellen.

Für klanglich wie optisch eindrucksvolle Szenen sorgen auch Chor und Kinderchor der Staatsoper Dresden (Wolfram Tetzner und Claudia Sebastian-Bertsch). Da gelingen einige berührend, traurige Augenblicke an diesem Abend, bis zu dem Moment, in dem die Kinder am Schluss sterbend zu Boden gleiten. Auf den letzten Takt folgt zunächst andächtige Ruhe im Saal – so bedrückend ist der erbarmungslose Schluss dieser Oper.

Engelbert Humperdinck „Königskinder“ an der Semperoper Dresden, wieder am 22.12. und 29.12., 19 Uhr, 3.1., 11.1., 17.1., je 19 Uhr und 25.1.2015, 17 Uhr

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