Fade Endzeitlethargie

Drei Schwestern Staatsschauspiel Dresden
Drei Schwestern an einem langen Tisch der Langeweile …

Tschechows „Drei Schwestern“ am Schauspielhaus

„In Moskau blüht Anfang Mai alles.“ – In Moskau, da ist sowieso alles besser als in der russischen Provinz. Das ist auch der Grund, warum es Anton Tschechows „Drei Schwestern“ (1901) nach Moskau drängt. Doch Olga, Mascha und Irina kommen dennoch nie dort an. Hausregisseur Tilmann Köhler inszeniert diesen Klassiker, der 1901 – vier Jahre vor der Russischen Revolution – seine Uraufführung feierte, nun für das Staatsschauspiel in Dresden. Es ist ein zeitloses Stück, das von der Lethargie des unmittelbar bevorstehenden Untergangs erzählt – widergespielt in den Charakteren der Figuren, die wiederum nur von sich selbst reden, anstatt mit anderen in Dialog zu treten.

Und Köhler inszeniert ebenso zeitlos. Kostüme und Bühnenbild (Susanne Uhl und Karoly Risz) sind extrem schlicht gehalten, lassen keine Rückschlüsse auf historische oder gegenwärtige Bezüge zu. In Grau, Schwarz und Weiß gekleidet stehen die drei Schwestern in der ersten Szene da, erzählen sich vom Tod des Vaters, der ein Jahr zurückliegt – und träumen von Moskau, wo sie ein sinnerfüllteres Leben erhoffen. Ein papierner Vorhang ist alles, was diese Bühne schmückt, er wird bemalt und ein querer Streifen hineingerissen. Darin steht zunächst ein Tisch, der an das „Abendmahl“ von Jesus mit seinen zwölf Jüngern (Foto: PR/Matthias Horn) erinnert, und zum Schauplatz für ein riesiges, verzweifelt ausuferndes Festgelage zum Namenstag von Irina wird.

Einige Darsteller sitzen in der ersten Publikumsreihe und gehen von dort aus zu diesem Fest hinauf. Das ist normalerweise ein Zeichen dafür, dass der Zuschauer sich als Teil der im Stück dargestellten Gesellschaft begreifen darf. Doch die Geschichten der drei Schwestern erscheinen in den folgenden drei Theaterstunden so weit entfernt wie Moskau selbst. Es gelingt Köhler einfach nicht, Spannung in diese von Tschechow doch diffizil angelegte Endzeitlethargie zu bringen. In seiner Inszenierung zeichnen sich weder Merkmale der Komödie noch der Tragödie ab. Die Figuren entwickeln sich nicht, ebenso schlicht wie der Bühnenraum ist die psychologische Tiefe der Charaktere gezeichnet.

Sie werden eher typisiert, statt psychologisiert. Die verträumte Irina, die lebenshungrige, von ihrer Ehe gelangweilte Mascha, die vom privaten Glück träumende Lehrerin Olga oder die rationale Natalja – die Charaktere sind schon nach den ersten Minuten ausgespielt. Dabei ist Lea Ruckpaul eine eher gleichgültige Irina, Yohanna Schwertfeger kann als Mascha immerhin im ersten Teil noch etwas spielerische Würze in das Stück bringen. Ina Piontek bleibt da noch recht blass, bekommt dafür aber nach der Pause deutlich mehr Raum und nutzt dies auch gut. Jonas Friedrich Leonhardi enttäuscht als Leutnant Nikolai dagegen auf der ganzen Linie. Thomas Braungard als Andrej, Matthias Reichwald als Oberstleutnant Alexander und Antje Trautmann als Natalia erscheinen eher profillos.

Das nimmt dem Stück die Schärfe, macht wenig Lust, am allmählichen Scheitern der Lebensentwürfe dranzubleiben. Am Ende wird die Papierwand symbolisch für den Moskau-Traum zu einem Haufen Müll zusammengeknüllt. Doch in Summe serviert das Ensemble hier mehr Geschrei als gutes Schauspiel. Die eigentliche Tragik der individuellen Leere kann so nicht transportiert werden – fast schon verständlich, dass ein Teil des Premierenpublikums nach der Pause nicht mehr in den Saal zurückkehrte. Gelungen ist dafür die musikalische Begleitung von Jörg-Martin Wagner, die das Geplätscher auf der Bühne wenigstens etwas erträglich(er) macht, ebenso wie das bedrohliche Klopfen an den Saaltüren im zweiten Akt, das diejenigen drinnen immerhin kurz mal wachrüttelt. Von einem Tschechow-Stück kann und darf man freilich deutlich mehr erwarten.

Nicole Czerwinka

Anton Tschechow „Drei Schwestern“, wieder am 9.10., 14.10., 19.30 Uhr; 26.10., 19 Uhr …

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Ein Kommentar

  1. Treffende Rezi!
    Bislang dachte ich ja, Tschechow kann man nicht vermasseln. Aber nun hat man es doch geschafft. Jenseits von Goette nur Karikaturen statt Figuren – nix von russischer Tiefe und Melancholie, nur Langeweile. Schlimmer sind nur noch die „Dämonen“ (sehr frei nach Fjodor D.)

    Offenbar kann Dresden nicht mehr mit Russen. Eine andere, neue Form westeuropäischer Sanktionen …

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