Pflanzenauge mit Machtallüren

Der kleine Horrorladen an den Landesbühnen Sachsen
Andreas Petzoldt hat als Seymour mit Audrey Two alle Hände voll zu tun.

„Der kleine Horrorladen“ an den Landesbühnen

Sie ist grün, sie ist riesig, sie ist hungrig – und sie verschlingt alles, was sie braucht, um noch größer und stärker zu werden. Die fleischfressende Pflanze „Audrey II“ wird im Musical „ Der kleine Horrorladen“ (Foto: PR/Hagen König) an den Landesbühnen Sachsen wieder mit Theaterblut gefüttert. Regie führt hier zum ersten Mal Opernsänger Michael König, der seit 1999 im Ensemble und derzeit unter anderem als Professor van Helsing im „Dracula“ sowie als Stelzfuß in „The Black Rider“ zu hören ist. Für seine erste Inszenierung am Haus steht ihm mit dem Musical von Howard Ashman (Buch und Liedtexte) und Alan Menken (Musik) ein dankbarer Stoff zur Verfügung.

König findet für den „Horrorladen“ in Radebeul pfiffige Bilder, würzt das Musical etwa mit kleinen, zarten Anleihen aus der Oper und beschert, das sei vorweg verraten, den Zuschauern zweieinhalb unterhaltsame Theaterstunden mit viel Ironie und Augenzwinkern. Sein Regieansatz ist der amerikanische Traum vom Tellerwäscher, der zum Millionär wird. Ein Traum, der die ewig Armen und Ausgebeuteten vom Abstellgleis nach oben führt, hin zur unvermeidlichen Skrupellosigkeit – in einem Land, in dem heute niemand mehr verschont bleibt, von allumfassender Metaüberwachung. Eine drehbare Bühne zeigt den schäbigen Blumenladen von Mr. Mushnik (Hagen Erkrath), von vorn und innen. Fassade und Boden sind mit Zeitungsausschnitten (Ausstattung: Anne Konstanze Lahr) tapeziert, dort steht unter anderem auch „Yes, we scan“ in großen, dicken Buchstaben an der Wand.

Drinnen kämpft Ladenbesitzer Mushnik mit seinen Mitarbeitern Audrey (Patrizia Häusermann) und Seymour (Andreas Petzoldt) gegen den Konkurs. Bis Seymour eines Tages seine Pflanze „Audrey Zwo“ aus dem Hinterstübchen holt und diese mit heimlichen Blut- und bald auch Menschenopfern zu einer landesweiten Attraktion aufpäppelt. Andreas Petzoldt spielt den liebenswerten Tollpatsch Seymour im Schlabberpulli so herzerfrischend, dass er selbst stimmliche Schwächen charmant wettmacht. Häusermann ist eine adrette Audrey, die mit klarer, starker Stimme von einem kleinen Häuschen mit Seymour träumt. Mit zunehmender Popularität der Pflanze „Audrey II“ rückt dieser Traum sogar in greifbare Nähe. Zumal Seymour, nicht ganz uneigennützig, auch Audreys brutalen Freund, den Zahnarzt Dr. Scrivello, an die Pflanze verfüttert.

Diesem verleiht Kay Frenzel auch dank seiner durchdringenden Stimme das Antlitz eines heißblütigen Macho-Italieners. In der Zahnarztpraxis lässt er ihn sogar zum sadistischen Schlachtertyp mutieren, bevor Scrivello sich dank einer Überdosis Lachgas selbst ins Jenseits und Seymour die Überreste in den Pflanzenschlund befördert. Nun wäre der Weg frei für Audrey und Seymour, würden Ruhm und Appetit des seltenen Pflänzchens nicht täglich mit seinen Blättern wachsen. Dorèn Franz hat „Audrey II“ für die Landesbühne als fast menschliche Pflanzen-Figur, mit einem Kopf in Form eines Auges und zahlreichen armartigen Tentakeln konzipiert. Man kann sich denken, welche Weltnation mit diesem wachen Überauge symbolisiert werden soll, obwohl die Metapher im Rahmen der Musicalhandlung letztlich doch ganz schön hinkt.

Jiri Sieber animiert das gefräßige Pflänzchen, welches im Stück mehr und mehr die Herrschaft des Geschehens übernimmt. Michael König selbst leiht „Audrey II“ seine Stimme. Hans-Peter Preu und eine Band aus Keyboard (Preu), Gitarre (Hagen Gebauer), Klavier (Thomas Tuchscheerer), Bass (Alexander Fuchs) und Schlagzeug (Michael Wünsch) setzen auch in kleiner Besetzung gelungene musikalische Akzente, wobei „Audrey II“ akustisch sogar noch ein bisschen zu brav wirkt. Gut dosiert und mit kecken Ideen versehen sind dafür die intermezzoartigen Choreografien von Barbara Grimm – fast ausschließlich ausgeführt von Berivan Luzie Kernich, Wibke Wittig und Christin Krause (Crystal, Chiffon und Ronnette). Ein klein wenig übertrieben wirkt allerdings die letzte Szene, in der die drei mit Leuchtschwertern bewaffnet zu Wagners „Walkürenritt“ antanzen, um die machtsüchtige Pflanze zu bekämpfen – immerhin, „Audrey II“ geht ihnen tatsächlich ins Netz und der „Horror“ findet an den Landesbühnen Sachsen ein Happy End.

Nicole Czerwinka

Musical „Der kleine Horrorladen“ an den Landesbühnen Sachsen, wieder am: 21.9. im Kulturschloss Großenhain, 4.10. im Theater Meißen, 5.10. im Stammhaus Radebeul

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