Menschmaschine versus Rebellion

Sophokles „Antigone“ am Staatsschauspiel Dresden

Eine Videoleinwand, jemand liest die Ödipus-Sage. Unten raucht die Erde, der Krieg ist vorbei. Doch der frisch gekrönte König Kreon möchte Kraft seines neuen Amtes Polyneikes nicht bestatten lassen, dessen Bruder Eteokles hingegen schon. Beider Schwester Antigone ist das nicht recht. Mitten im Trümmerfeld steht sie, eine großköpfige Puppenfigur namens Ismene schüttelnd – denn sie will mit ihr den Bruder heimlich begraben. So geraten Antigone und Kreon also in Streit. Der einen geht es um göttliche Ordnung, dem anderen um staatliches Herrscherrecht. Soweit der Extrakt aus Sophokles Tragödie „Antigone“. Genau jener Extrakt bleibt in Sebastian Baumgartens Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden auch erhalten.

Der Regisseur hat hier seine eigene Fassung (nach den Übersetzungen von Ernst Buschor und Friedrich Hölderlin) des Stücks auf die Bühne gebracht. Die Handlung von Antigone, die tapfer dem Willen ihres Königs Kreon trotzt, bricht er sprachlich modern auf, erzählt nur zeitweise relativ nah am Urtext und kombiniert dies immer wieder mit Chorkompositionen von Carl Orff (Bearbeitung: Tobias Peschanel). Baumgarten erweist sich dabei einmal mehr als ein Meister der Bilder und verschlungener Andeutungen. Allein schon das Bühnenbild (Hartmut Meyer) ist eine monumental-brachiale Ansage: Es sieht aus wie ein zerklüfteter Boxring in harten Farben, dazu ein großes, schwarzes, kanonenähnliches Teil, das am hinteren Bühnenrand hin- und herfahren kann.

Ismene ist anfangs nur als jene Puppe präsent, bevor Cathleen Baumann im kontrastierenden rosa Seidenkleid über die Trümmerwüste dieser Bühne stöckelt. Ein Chor merkwürdiger Gebirgskatzen in bunten Kleidern singt sirenenartig – und schließlich ergreift der König selbst das Wort. „Ohgottohgottohgott“, lamentiert Torsten Ranft. Sein Kreon ist mit seinem Amt eigentlich überfordert. Er handelt eher aus Unsicherheit und Hilflosigkeit. Deswegen sehen er und seine Wächter in Puschelschuhen mit Bommel (Kostüm: Christina Schmitt) vielleicht auch aus wie die Hofnarren. Antigone bringt diese Herrschaft aus dem Gleichgewicht – „das schlimmste Übel ist die Rebellion!“

Lea Ruckpaul ist tatsächlich eine wilde Antigone, sie kämpft kompromisslos für ihre Überzeugung, wird den Bruder schließlich begraben. Fast wie eine überzeichnete Ronja Räubertochter in Ordenskluft (Foto: PR/Matthias Horn) wirkt sie, spricht wie ihm Wahn, zuckt, zappelt, zetert selbst gefesselt noch bis zum bitteren Ende. Ihr Verlobter Haimon, der Sohn  Kreons, ist dagegen mehr eine Tochter als ein Sohn, mickrig versucht er im Gespräch, seinen Vater umzustimmen. Alle schwachen Personen besetzt Baumgarten mit Cathleen Baumann. Sie lässt zwar jedes dieser typenhaften Wesen in eignen Farben schimmern, verleiht ihnen dabei aber dennoch stets eine hohle Blässe.

Baumgartens Inszenierung mag streitbar sein, wird aber nie langweilig. Der Bruch mit Erwartungen und die Abwechslung der Anspielungen, aus denen sich schlussendlich das überbordende Geflecht des großen Ganzen entspinnt, sind sein Metier. Immer wieder unterbricht er die Handlung mit den Chorgesängen, die auch weit über das eigentliche Stück hinaus verweisen. Einmal singen sie davon, wie der Mensch sich die Natur untertan macht, das Ganze wird auf der großen Leinwand mit eindrücklichen Bildern untermauert. Später spielt ein Film eine gespielte Nachrichtensendung mit Experteninterview zum Fall „Antigone“ ein. Ein geschickt ironischer Rückgriff auf die (vermeintlichen) Fernseh-Experten unserer Gegenwart.

Am Ende folgt dann doch noch so etwas wie eine Auflösung. Jenseits von Sophokles, sondern im Sinne von Heiner Müllers „Totenbeschwörung“ auf dem Theater, arrangiert Baumgarten die Übersetzung des Stückes in „eine andere Zeiteinheit“ als eine Art Parabel auf die Bürokratie. Lea Ruckpaul sieht jetzt aus wie ein weißer Amor, Torsten Ranft nimmt als schweinchenhafter Beamter an einem Schreibtisch aus Pappe Platz. Sie philosophieren über den Staat, der Räuber und Gendarme brauche, schwadronieren über Uniform, Ordnung, Unordnung – Menschmaschine versus Rebellion gegen die Ordnung als das Ende einer antiken Tragödie. Schon lange war Theater am Staatschauspiel nicht mehr so herausfordernd, schon sehr lange nicht mehr so mutig und aktuell. Tobender Applaus (leider nicht von jedem).

Sophokles „Antigone“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 17.4., 20 Uhr; 30.4., 6.5., 14.5., 18.6., 19.30 Uhr

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