Sieben Tage bis zum Weltuntergang

Dresdens Mayacodex als Schicksalsschrift

Dresden ist Musik-, Kunst- und Barockstadt, aber keine Literaturstadt, wird immer wieder behauptet. Doch spätestens in diesen Tagen sollte mit diesem Vorurteil Schluss sein. Ist doch ein Objekt im Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) seit Monaten schon im Fokus begieriger Weltuntergangspropheten: Jener gewichtige Teil des Mayakalenders nämlich, der sich, fachrichtig als „Codex Dresdensis“ bezeichnet, seit 1740 im Herzen der auf Kurfürst „Vater“ August von Sachsen (reg. 1553 bis 1586) zurückgehenden Buchsammlung in der Schatzkammer der Bibliothek befindet. Der Kurfürst konnte, als er 1556 damit begann, intensiv Bücher zu sammeln, freilich nicht ahnen, dass sein Hobby Dresden und der Welt einmal einen theoretischen Weltuntergang bescheren würde. Und tatsächlich war es ja auch August III., Sohn Augusts des Starken, der dieses „unschätzbare Mexicanische Buch mit Hieroglyphischen Figuren“ einst in Wien erwerben ließ. Eine folgenschwere Anschaffung, dank der Dresden nun zum Anlaufpunkt von Mayaforschern, deren Hobbyjüngern und Esoterikern gedeiht.

Denn wie inzwischen einhellig bekannt sein dürfte, endet mit dem „Codex Dresdensis“ am 21. Dezember 2012 für die Mayas ein ganzes Zeitalter. Noch vor sechs Jahren war der am besten erhaltene Dresdner zwar schon lange der Einzige von weltweit insgesamt drei Maya Codices, der öffentlich zugänglich ist, jedoch vom Gros der Touristen und Dresdner noch an den Rand der Vergessenheit gedrängt. Doch mit dem Herannahen des vermeintlich verhängnisvollen Datums 21.12.2012 wurde die 800 Jahre alte Handschrift mehr und mehr zum wahren Goldstück der SLUB-Schatzkammer. Weissagungen, astronomische Aufzeichnungen, Göttersagen und hieroglyphsche Kalenderziffern sind auf den 39 doppelseitig beschriebenen Blättern aus Feigenbaumrinde in bunten Farben zu sehen. Den Kalenderteil hat bereits der Dresdner Hofbibliothekar und Fürstenzugpassagier Ernst Förstemann (1822-1906) übersetzt. Doch auch nach über 200-jähriger Forschung sind noch lange nicht alle Zeichen der Mayas entschlüsselt.

Und so ist es kein Wunder, dass die Spekulationen im Vorfeld des 21. Dezember 2012 sprießen wie Unkraut und das Dresdner Buchmuseum als Heimat der prophetischen Handschrift bei Besuchern gefragt ist wie schon lange nicht mehr. Bereits im vergangenen Jahr haben nicht nur Gäste, sondern auch Medienstationen aus aller Welt die SLUB und ihren geheimnisvollen Kalender vor Ort betrachtet. Führungen gibt es seitdem jede Woche statt nur monatlich, die Öffnungszeiten des Buchmuseums mussten verlängert werden. Genaue Zahlen dazu bleibt die Bibliothek auf Anfrage am Dienstag (11.12.) bislang aber schuldig. Fakt ist jedoch, dass der globale Weltuntergangscountdown in Dresden – sozusagen in medias res – ganz und gar nicht von Panik begleitet, sondern stattdessen schon das ganze Jahr über mit einem umfassenden Veranstaltungsprogramm heruntergezählt wird (Screenshot).

So eröffnete am 23. Februar, also zehn Monate vor der angeblichen Apokalypse, die Ausstellung „Weltuntergang 2012?“ in der SLUB. Bis zum Mai dokumentierte sie anhand von Schautafeln den Weg der Maya-Handschrift von Mexiko nach Dresden und stellte die Kalenderrechnung der Maya vor, die eher den Weg in ein neues Zeitalter weist, denn einen echten Untergang heraufbeschwört. Am 21. Dezember locken dagegen gleich zwei Veranstaltungen in die Bibliothek. So organisiert die Konrad-Adenauer-Stiftung von 19 bis 21 Uhr im Lesesaal der SLUB eine Lesung zum Thema „Apokalypse“ (vorherige Anmeldung notwendig). Am Abend gibt es zudem um 21.30 Uhr im Vortragssaal ein Konzert zum Ende der Zeit, bei dem die Dresdner Sinfoniker das neue Zeitalter der Maya musikalisch begrüßen (das Konzert ist ausverkauft!). Und vielleicht beginnt dabei ja nicht nur für die Mayas eine neue Ära, nämlich der 14. Vierhundertjahreszyklus seit der Erschaffung der Welt, sondern ein bisschen auch für Dresden. Der Zyklus der Literaturstadt könnte er heißen – und er startet natürlich im Dresdner Buchmuseum.

Nicole Czerwinka

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